Gespräch mit Ingo Nussbaumer zum Begriff »Inabstract Art«

Künstlergespräch mit Ingo Nussbaumer Teil 2

Mit:
Ingo Nussbaumer . Nina Gospodin
Aufgenommen am 08.05.2016 | Zuerst publiziert am 04.08.2016 auf www.dusagst.es

Im Folgenden findest du meine Lieblingspassagen aus dem Gespräch. Die Transkription wurde zum Teil gekürzt und zusammengefasst, um die Lesbarkeit zu verbessern.

Ingo Nussbaumer | Malerei und Philosophie verbinden

Zu meiner Leidenschaft, die natürlich die primäre Leidenschaft ist zur Malerei, gibt es noch eine zweite zur Philosophie. Diese zweite Seite, die hat mich auch beschäftigt und war sozusagen eine Ergänzung. Deswegen habe ich zunächst Malerei studiert und anschließend vielleicht auch aus diesem Grund Philosophie, weil ich wissen wollte, wie es mit der zeitgenössischen Philosophie ist.

Ich habe dann in Salzburg Philosophie studiert oder Philosophie zu studieren begonnen. Dort war das eine analytisch-mathematische Richtung eher und das entspricht meinem Naturell, würde ich sagen. Ich bin nicht so der literarische Philosoph. Das interessiert mich eigentlich weniger. Das wären eher die französischen Philosophen, die durchaus auch interessant sind, aber

so meine Richtung ist eher, sage ich jetzt mal, die analytische begrifflichere Philosophie, wo es um Begriffe geht, wo man versucht, Begriffe zu klären, Begriffe herauszuarbeiten und nicht zu sehr um Begriffe herumschweift und letzten Endes nie auf den Punkt kommt. Mir war das immer wichtig, auf den Punkt zu kommen, um dann auch mit dem Begriff ein Instrument, ein Tool zur Verfügung zu haben, um mit diesem arbeiten zu können. Deswegen ist mir auch der Begriff der Malerei ein Anliegen.

Ich war immer vielschichtig. Das kommt nämlich vielleicht dazu. Also ich war nicht einschichtig oder einseitig nur auf Malerei bezogen, sondern es haben mich wahnsinnig viele andere Dinge nebenbei ständig interessiert. Naturwissenschaft genauso wie

Geisteswissenschaft. Am Anfang mehr vielleicht Naturwissenschaften. Sicher hängt das auch damit zusammen, dass mich jetzt die Farbtheorie als solche auch beschäftigt hat. Malerei ist im Grunde genommen mit der Wissenschaft gekoppelt. So sehe ich das heute. Es ist also nicht etwas von der Wissenschaft Getrenntes. Es gibt auch schon vom Leonardo diesen Ausdruck [...]: Die Wissenschaft ist eine Dienerin der Malerei und nicht umgekehrt die Malerei eine Dienerin der Wissenschaft. Das ist, glaube ich, ein interessanter Gedanke, der mich auch immer wieder beschäftigt hat und wo ich mich auch von manchen Künstlern unterscheide. Beispiel: Konkrete Kunst, wo es viele Künstler gibt, die sozusagen angewandte Mathematik machen. Das lehne ich grundsätzlich ab. Aus diesem Grunde.

Nina Gospodin | Warte mal ganz kurz: Konkrete Kunst?

Ingo Nussbaumer | Von Konkreter Kunst zur Inabstract Art

Es gibt jetzt diese Richtung der konkreten Kunst, die ab den 1930er Jahren sozusagen von Doesburg her kommend sich einen Namen verschafft - sagen wir mal so -  löst den Begriff der abstrakten Malerei ab. Bis dorthin könnte man sagen, war die ungegenständliche Malerei dahingehend zu verstehen, dass man sich sozusagen eigentlich von den Naturvorbildern loslöste, abstrahierte und die Selbstständigkeit der Form entdeckte. Ja, wenn man das jetzt so ganz einfach sagen möchte.

Die konkrete Kunst stellt eben das schon an den Anfang, dass die autonome Form, die losgelöste Form, der Beginn ist, während bei der abstrakten Kunst die losgelöste Form das Ziel ist. Da dreht sich das um, könnte man sagen. Plötzlich erkennt man, dass die selbstständige Form oder auch jede einzelne Farbe, die Elemente der Malerei sind. Dass die sozusagen autonomen Charakter haben und schon einen Ausdruck bedeuten. Sie müssen nicht in Extra-Inhalte eingebunden werden, sondern sind schon Inhalt, sind schon Ausdruck, sind schon Form von etwas sozusagen. Und mit dieser konkreten Kunst beginnt das sozusagen, konkrete Gestalt anzunehmen. Und wird dann, ich würde sagen, bis in die 1950er, 1960er Jahre hinein doch eine der tonangebenden Begrifflichkeit für die ungegenständliche Malerei oder ungegenständliche Kunst.

Dann ab den 1960er Jahren, ich sage das mal ganz kurz ja zur Erläuterung: Ab den 1960er Jahren gibt es einen neuen Schub, der eher aus Amerika kommt, würde ich meinen. Bis dorthin kam es mehr aus Europa dieser Schub. Gut. Wir wissen, durch die beiden Weltkriege und vor allem durch den zweiten Weltkrieg ist ja so und so vieles von diesem Programm, wenn man das jetzt so sagen kann, zerstört oder zersplittert worden und ging dann in Amerika sicher teilweise weiter. Dort war das offener, wurde auch anders gehandhabt. Dann kamen natürlich die amerikanischen Entwicklungen dazu, die mit dem abstrakten Expressionismus vielleicht jetzt so in die Moderne so sehr stark einbrachen und dann über die Pop-Art und Minimal Art sozusagen ganze neue Dimensionen beschritten hat, die schon ihre Wurzeln in der europäischen Kunst haben ganz eindeutig, aber die ganz neue Wege, ganz neue Ausrichtungen

angenommen haben. Also man könnte sagen, die konkrete Kunst mündet im gewissen Sinne in die minimalistische, konzeptualistische Kunst hinein. Teilweise auch selbstständig natürlich und davon abgesetzt auch, ja. Aber trotzdem sehe ich das irgendwie so als einen Entwicklungsstrang. Und das läuft jetzt, würde ich jetzt mal sagen, in eine vielleicht neue Dimension aus. Ich habe auch schon einen Ausdruck dafür, wo man sich im Grunde genommen nicht mehr an das ursprüngliche Programm der abstrakten und konkreten Kunst hält.

Ich nenne das: Inabstract Art.

Schon im Minimalismus ist es eigentlich vorbei, könnte man sagen, weil das Bild als Objekt entdeckt wird. Ich kürze das jetzt sehr ab. Das Bild wird ein Objekt. Es ist nicht nur ein Fenster, wie das in der klassischen Tradition ist, das Bild als Fenster in eine bildnerische Welt. Es gibt natürlich klarer Weise von der Renaissance kommend da bestimmte Vorstrukturierungen, die mit der Eroberung der Perspektive auch zusammenhängen. Das Fenster sozusagen als Gitter, das man gleichsam aufspannt zwischen dem Gegenstand und dem Betrachter oder dem Maler. Der (Maler) versucht, die Proportionen der Perspektive in dieses Fenster, auf diese Scheibe zu projizieren. Das jetzt so als Hintergrundbegriff. Das verändert sich natürlich dann im Laufe der Zeit, aber dieses Bild als Fenster wird sozusagen ab den 1950er, 1960er Jahren verändert und es taucht als Objekt, das Bild als Objekt sozusagen, auf als selbständiges Ding.

Also bei Donald Judd findet man diesen Ausdruck des spezifischen Objektes, was glaube ich sehr typisch ist. Da hat meines Erachtens die bildende Kunst wieder einen Schritt  weiter gemacht. Also bei der konkreten Kunst wird das schon vorgebaut, aber es erlangt dort noch nicht so einen präzisen Ausdruck. Und mit dem Ausdruck "spezifisches Objekt" wird es dann sozusagen auf den Punkt gebracht. Bleibt aber dann meines Erachtens - jetzt komme ich auf meine Generation zu sprechen - auch in einer bestimmten Schiene stecken, indem jetzt sozusagen immer nur die Oberfläche des Objektes behandelt wird und alles andere, was in einen so genannten imaginären Raum hineingehen könnte,

auch abgelehnt wird.  Also es gibt sozusagen die Tendenz zu sagen »Dieser imaginäre Raum ist ein illusionistischer Raum, ist ein Überbleibsel aus der alten Kunst. Dieses Überbleibsel wollen wir auch loswerden. Wir wollen uns ganz in das spezifische Objekt hineinbewegen, wo es um Oberflächen geht und um Räume geht, die tatsächlich sind, die faktisch sind, also um Dreidimensionalität«.

Und bei mir gibt es sozusagen diese Wende. Natürlich hat mich das immer interessiert, wie sich diese Entwicklung auch eventuell weiter bahnen könnte. Und für mich ist das dieser imaginäre Bildraum, den ich dann vom illusionistischen Bildraum unterscheide. Der entsteht einfach , indem ich eine Farbe zum Beispiel nur auf eine Oberfläche auftrage. Jede Farbe hat eine eigene Räumlichkeit, eine eigene Dimension, die jetzt nicht haptische Dreidimensionalität ist, die aber optische Räumlichkeit vermittelt und im Grunde genommen so etwas wie ein imaginärer Raum ist, weil man ja nicht so direkt mit dem Körper hinein kann. Deswegen muss man ihn unterscheiden vom tatsächlich dreidimensionalen Raum. Auch vom illusionistischen Bildraum, welcher nur die dritte Dimension wiederzugeben versucht oder die Illusion erzeugen möchte einer Dreidimensionalität. Jede Farbe hat einen eigenen Farbraum, der eben ganz gezielt in der Malerei benützt werden kann oder ausgenützt werden kann oder intentiert werden kann, wie man das jetzt auch ausdrücken möchte, und der über die bloße haptische Dreidimensionalität hinauswächst eben in das, was ich den imaginären Bildraum nenne.

 Das war damals in den 1960er Jahren kein Thema. Im Gegenteil: Man wollte das loswerden, weil man noch ein bisschen die Vorstellung hatte, das sei etwas aus der älteren Malerei. Aber für mich beginnt da eine neue Dimension aufzuwachsen, nämlich dieser so genannten imaginäre Bildraum und den man jetzt konfrontieren kann mit dem Real-Raum des Bildes, der sich aus dem Bild als Objekt sozusagen konstituiert oder ergibt. Und diese Konfrontation, diese Erweiterung sozusagen, das nenne ich Inabstract Art.

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