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Liebe Renate, mich interessiert, wie Leute ins Tun kommen. Welche Fragen einen beschäftigen und wie man eigentlich einen Zugang findet. Mir geht es oft so, dass ich irgendwelche Fragen habe und ich zögere herum und dann braucht es etwas Gewisses dafür, dass ich einen Zugang dazu finde, oder anfange reinzukommen. Das hat mich bei dir ebenso interessiert. Mit welchen Fragen bist du eigentlich gestartet?
Hi Nina, also ich habe einen gewundenen Weg nehmen müssen, weil ich eine Mutter gehabt habe, die zwar hochkünstlerisch begabt war und auch sogar an der Angewandten kurzfristig studiert hat. Sie war in der Čižek Schule. Das war die Schule für besonders begabte Kinder. Aber aus familiären Gründen musste sie dann aufhören und ist in einem Fotolabor gelandet, hat dort retuschiert. Das ist die Kriegsgeneration, dann ist der Krieg gewesen und wir sind gekommen. Also ihre Träume sind alle nicht in Erfüllung gegangen. Sie hat das ein bisschen oder ein bisschen stark auf mich projiziert. Das war eine relativ große Belastung für mich. Sie hat immer gesagt: „Mir ist das nicht in Erfüllung gegangen, aber dir muss.“
Wie bist du an die Kunstuni gekommen?
Ich habe das Gymnasium fertiggemacht und dann wollte ich sofort an die Akademie. Meine Mutter, die war sehr ängstlich. Die hat gesagt: „Nein, von der Kunst kannst du nicht leben. Du musst irgendein vernünftiges Studium vorher machen.“ Vernünftiges Studium, okay, ich suche mir so etwas Kurzes wie möglich. Dann bin ich auf die absurde Idee gekommen, die Hotelfachschule zu machen, denn die war nur zwei Jahre aufgrund der Matura. Sie war eigentlich drei Jahre lang, aber ich konnte sie in zwei Jahren machen. Da habe ich mich durchgelitten. Und in dem Moment, wo ich das Diplom in der Hand gehabt habe, bin ich auf nach England, nach Cambridge - Freiheit für mich, weg von zu Hause. Ich habe eine sehr nette Familie gehabt. Ich habe dort wunderbar Englisch gelernt und habe mich nebenbei in der nahegelegenen Kunstschule für die Aufnahmeprüfung an der Akademie vorbereitet. Das war immer hier, das muss ich machen. Und ich habe mich vorbereitet, bin zurück und bin auch sofort aufgenommen worden. Ich habe in Oxford „the key of the house“ bekommen. Das heißt, ich wurde als erwachsen erachtet und das war mit 21 Jahren.
Das heißt, ich habe mit 21,5 Jahren zu studieren begonnen in Wien. Ich war am Ziel der Wünsche, aber es war trotzdem zugleich ein Schock. Du kannst dir nie vorstellen, wie die Akademie damals war, also ein ganz ein dumpfes Loch. Ja, wirklich wahr, also nur Professoren, nur so alte Knacker oder so mittelalterliche Knacker, die Genies gespielt haben, fast keine Studentinnen, nur Studenten, keine Identifikationsfiguren, nichts. Und ich hatte einen alten Professor, so ein guter Maler, aber für uns junge Leute weit weg. Ich war entsetzlich frustriert und unglücklich. Dann ist aber ein Glück für mich - also Mein Weg ist von Glücksmomenten und von gnadenreichen Erlebnissen gepflastert. Sonst würde ich nicht hier sitzen, wirklich wahr. Jedenfalls ist er bald gestorben.
Und das war ein Glücksmoment.
Ja, das war ein Glücksmoment. Dann war eine Interim-Situation von mir, für mich da. Ich habe mir überlegen müssen, was machst du jetzt? Er war ein Maler und hat mich gezwungen, die drei, vier Semester zu malen. Das war für mich gut, weil ich erkannt habe: ich bin keine Malerin, sondern ich bin eher eine trockene, also zeichnen. Ich habe schon gespürt, das Dreidimensionale wird wach in mir.
Ich konnte kein Handwerk. Einen Hammer konnte ich schon in die Hand nehmen, aber sonst nichts. Ich habe gespürt, ich brauche ein Know-how, um das, was mir so diffus vorschwebt, nämlich Installation, Plastik - also die traditionellen Materialien wie Holz und Stein haben mich nie interessiert, sondern ich habe da immer schon Ausschau gehalten nach anderen Dingen wie Plastik und Plexiglas und so. Da habe ich gemerkt, ich kann nichts und da habe ich wieder ein Glück, eine Freundin gehabt in der Restaurierschule und mit der habe ich das besprochen. Das war meine einzige Interaktion dort mit dieser Tiroler Studentin, die auch unglücklich war. Wir haben uns ausgetauscht. Ich habe gesagt: du, ich muss was dazulernen. Ich kann nicht einmal eine Leinwand grundieren. Ich kann gar nichts. Ich kann nicht sägen, nicht kämmen, ich weiß nicht, wie man einen Aufhänger macht und so. „Du, komm in die Restaurierschule. Die haben fantastische Werkstätten. Da wirst du das lernen können.“ Das habe ich mir das angeschaut. Das war wirklich so. Die haben alles gehabt. Ich bin zum Professor und habe gesagt, ich möchte gerne zwei Semester studieren. Stille - da hat er gesagt: „Tut mir leid, können Sie nicht. Sie müssen Restaurierung studieren.“ Da habe ich mich zusammengerissen, habe zwischendurch das Diplom in Malerei, allerdings mit großen Zeichnungen gemacht und wieder das große Wunder, so à la Virginia Woolf „A room of one's own“, habe ich dort eine Assistentenstelle bekommen als Unterrichtende. Ich war zuständig für die künstlerische Ausbildung der Restauratoren.
Direkt nach dem Studium hast du an der Akademie als Unterrichtende gearbeitet, oder wie war das?
Direkt nach dem Studium. Das war ganz in meinem Sinne. Ich konnte dort Komposition unterrichten, alle Maltechniken, bin mit ihnen in die Galerien gegangen. Es war sozusagen in meinem Bereich, zwar schon Restaurierstudenten und -studentinnen, die nicht direkt
auf die freie Kunst gezielt haben, sondern um später Restauratoren zu werden. Aber ich habe mich dort eigentlich relativ wohl gefühlt, habe auch gut verdient. Ich war dort zwölf Jahre. Es waren nur 15 Stunden in der Woche. Nach den 15 Stunden bin ich raus ins Atelier und habe dort alles, was ich verdient habe, ausgegeben für meine Arbeiten. Das war paradiesisch, also wirklich wunderbar.
Aber dieser Drang, hattest du den schon immer, dass du wusstest: boah, ich muss in die Kunst? Wie ist denn das eigentlich?
Das kann man rational gar nicht herausfinden, entweder ist es da oder nicht. Das ist so eine drängende Sehnsucht. Wonach? Nach einer Art - wie kann ich das ausdrücken - vielleicht an einem Beispiel: Kennst du zufällig das Adagietto von Gustav Mahler, von seiner dritten Symphonie, glaube ich? Das Adagietto, wenn man das anhört, für mich war das immer Vollendung, ein vollendetes Stück Musik. Und da steckt die Sehnsucht und das stieg und steigt immer noch. Das möchte ich auch tun. Ich möchte etwas tun, etwas, dem nichts fehlt, das ganz aus meiner Individualität heraus entstanden ist, aber trotzdem von allen anderen, rein gefühlsmäßig, von dem Innersten her verstanden wird. Das war der Impetus, mehr nicht. Was dann herauskommt oder herausgekommen ist, da habe ich gar keine Kontrolle, denn die einzige Voraussetzung war, glaube ich, das sehe ich jetzt rückblickend, dass man sich der Welt öffnet. Und dann kommt alles rein, alles rein, alles rein, alles versinkt und was dann rauskommt, God knows.
Wie entstehen deine künstlerischen Arbeiten? Hast du da eine bestimmte Herangehensweise?
Es gibt natürlich verschiedene Vorgangsweisen, wie eine künstlerische Arbeit entsteht. Vielleicht kann man das bei einer Zeichnung, oder bei einer Leinwand auch demonstrieren. Manche stellen sich vor eine weiße Leinwand und beginnen zu leiden, weil sie möchte etwas tun und wissen nicht was. Wie fülle ich diese Leinwand? Wie fülle ich dieses weiße Papier? Schrecklich, oder? Was mache ich damit? Aber ich will ja etwas. Ich arbeite. Ich beginne mich erst vor die Leinwand oder vor ein Zeichenblatt zu stellen, wenn ich alles bis ins Detail in mir klar habe. Das dauert oft. Ich lasse das in mir wachsen und nicht während der Arbeit. Das sind zwei verschiedene Zugänge. Beides ist legitim.
Wie ist das, wenn du sagst, du lässt es in dir wachsen. Und wie lange zum Teil? Hast du da verschiedene Phasen?
Verschieden, total verschieden. Manchmal ist es instantan da und manchmal braucht es ein halbes Jahr. Ich arbeite auch immer an verschiedenen, an einer ganzen Reihe von Projekten innerlich und eines wird dann wichtig, eines taucht auf. Manches verschwindet. Aber das, was wirklich wichtig ist, das liegt nicht in meiner Hand, sondern das entscheidet, ich weiß nicht, wer und was. Das kommt hoch und ist so glasklar, dass ich jetzt sagen kann: so, jetzt beginnt die Plage. Jetzt beginnt das Materialisieren und das ist meistens ein langer, langer Weg. Logistisch, materiell, körperlich - oft denke ich mir: oh Gott, ja, das möchte ich machen, aber das ist ein halbes Jahr Arbeit. Verstehst du? Zum Beispiel: Hier ruht meine Zärtlichkeit. Das Grab, das ist eine monströse Arbeit, bis das dort steht. Aber das musste gemacht werden. Und das hat sicher ein halbes Jahr intensive Arbeit gebraucht.
Das war wie mit unserem Wesen in der Artist-in-Residence im Bergdorf. Die Expedition haben wir ein halbes Jahr geplant. Wir haben dennoch total viel ausprobiert und wir wären, glaube ich, nie von selbst darauf gekommen, das so am Ende zu machen.
Ja und dieses Hin und Her und wie könnte das sein, das geschieht bei mir vorher. Das ist auch etwas, was notwendig ist, wenn man Materialien hat, die man so quasi dann nicht mehr nach seinen Vorstellungen, die später auftauchen, zurechtbiegen kann im wahrsten Sinne des Wortes. Ich kann auch nicht mir einen Stein hinstellen und sagen: okay, jetzt mache ich was. Haue ich rein, fällt ein Eck raus, oh Gott. Der Stein ist jetzt kaputt, nicht? Also, so kann ich nicht an einen großen Stein herangehen. Michelangelo hat sicher, war innen voller Figur, bevor er da begonnen hat, herumzuhämmern. Ne, oder ich kann nicht bei so einem Grab sagen: oh das gehört eigentlich kleiner. Jetzt kann ich alle Plexiglasteile noch einmal bestellen oder so, nicht? Also das muss schon, die Größe muss gespürt werden. Ich habe mich auch noch nie bei meinen hunderten Objekten in je, in einem Millimeter geirrt. Wenn ich so Skizzen mache auf dem Papier, 1:10, 1:20, ja, 1:10, 1:20, so spüre ich das in der realen Dimension genau und spüre, das ist ein bisschen zu hoch, ein bisschen zu niedrig. Auf das kann ich mich hundertprozentig verlassen. Ich muss ja die Dimensionen ausspüren und ausrechnen und weitergeben und schneiden lassen und biegen lassen und so weiter. Ohne Skizze geht es nicht. Also die Zusammenarbeit mit den Handwerkern ist für mich ganz was Lebendiges und Aufregendes.
Wie hast du dir das erschlossen? Also war dir das von Anfang an klar? Ich stelle mir das jetzt so vor, dass du wahrscheinlich verschiedene Handwerker hast, mit denen du schon seit längerer Zeit zusammenarbeitest oder wie ist das? Wie bist du da reingekommen? War das nicht am Anfang erstmal aufregend?
Einige Dutzende, Dutzende, jaja. Aufregend ist es bis heute noch, weil viele nicht mehr arbeiten und viele kommen noch dazu. Aber so die erste Kontaktaufnahme mit einem Handwerker ist sehr interessant. Ich habe da auch irgendwie ein Gespür dafür, auch jetzt mit dem Internet. Damals war ja das nicht so. Da hat man in dem Branchenverzeichnis nachgeschaut, ruft dann an und schaut hin und so. Ich habe natürlich schon gewechselt. Manchmal hat es nicht hingehauen und ich bin dann wieder gegangen. Aber wenn dann ein Draht da war, konnte ich die Leute so begeistern, dass die für mich durchs Feuer gegangen sind. Das war toll. Ich habe immer alles bekommen, was ich wollte. Und der Plexiglasfachmann, der war überhaupt ganz toll, bei dem war ich über dreißig Jahre. Ich habe hauptsächlich mit Plexiglas gearbeitet und das war sündteuer, immer schon. Ich hätte das gar nicht bezahlen können, sondern er hat mir immer gestundet und ich habe Raten gezahlt, immer, über Jahrzehnte hinaus. Ich habe immer nur Raten, in alle Richtungen Raten gezahlt. Es haben alle akzeptiert. Und dadurch konnte ich so viel produzieren. Ich hatte auch nie genug Geld. Ich habe immer Schulden gehabt, immer Schulden. Das war mir egal. Ich habe immer alles überzogen, immer, immer überzogen. Plus oder minus, das hat mir nichts gesagt. Es war das Gleiche, ob jetzt plus oder minus. Dadurch konnte ich immer aus der Fülle heraus arbeiten und das ist das Herrliche dran. Ich habe eine Kollegin, mit der ich kurz zusammengearbeitet habe, die hat auch gesagt, ich gebe nicht mehr als fünfhundert Schilling im Monat für meine Arbeit aus. Da habe ich gesagt, na, du wirst aber nicht weit kommen. Ja, ist auch nicht weit gekommen. Die hätte das Geld gehabt. Es ist ja fürchterlich, wenn man sich so beschneidet.
Hat das nicht Karl Lagerfeld gesagt: „Du musst das Geld zum Fenster rauswerfen, dann kommt es zur Tür wieder rein.“ Es ist interessant. Aus der Fülle raus? Aber das merkt man, finde ich, wenn man durch deinen Katalog blättert.
Ja, das würde zu ihm passen. Jaja, das würde zu ihm passen. Ich habe mich nie beschränkt. Nie. Nie.
Mich freut insofern, dass euch das anspricht, weil offensichtlich sind wirklich andere Zeiten angebrochen und meine Arbeit wird anders rezipiert. Die Leute in den 70er Jahren sind in mein Atelier gekommen, so Mitte, Ende der 70er Jahre, wo ich schon mindestens 1.500 Arbeiten da herumstehen gehabt habe. Jetzt sind es über 4.000 verschiedene, große, kleine Arbeiten. Die Leute, vom Sammler, von Galerien sind reingekommen, alles voll, pump voll: „Das ist mir zu viel.“ Die Leute sind immer wieder verschreckt gegangen. Das ist mir immer wieder passiert. Und das hat mich schon, nicht gekränkt, aber immer dachte ich, ich verstehe das nicht, als Mensch, der mit Kunst zu tun haben möchte, dass der von einer Fülle abgeschreckt ist. Das habe ich nie verstanden. Ich habe mir gedacht: Na ja, ist es vielleicht das, WAS ich mache? Ja wahrscheinlich, und auch diese ganzen phallischen Dinge, die haben fast alle auch abgeschreckt. Ich habe das anders erfahren in den 70er, 80er Jahren und auch 90ern, eigentlich bis jetzt. Erst ungefähr seit vier, fünf Jahren finden alle meine Arbeit großartig. Ich glaube, nicht viel länger. Jetzt finden es alle genial. Ich bin die große Wiederentdeckung.
Entdeckung in Österreich, oder insgesamt?
Nein, insgesamt, insgesamt. Das ist spreading. Ich habe einen Galeristen in London und der ist auch total begeistert von meinen Arbeiten und der hat auch internationale Kontakte. Ich bin Shooting Star. In Österreich hinken sie nach, aber dort: überall und in Amerika stellt er mich aus und dort und da, nimmt mich auf Messen mit und alle sind high. Ich verkaufe auch. Fantastisch. Und alle finden die Arbeiten großartig.
Du musst dich noch daran gewöhnen, oder? Hast du irgendeine Vermutung, was das sein kann? Oder ist das einfach der Galerist, dass der das checkt?
Ja, also ich staune nur. Ich staune nur. Es ist nett, ja. Es fällt da vieles zusammen. Es hängt viel mit mir zusammen. Ich bin nie ein besonders kommunikativer Typ gewesen und auch immer etwas, glaube ich, arrogant. Aber ich glaube, eher so als Schutzmaßnahme. Ich bin schon sehr, sehr oft dumm angesprochen worden im Zusammenhang mit meinen phallischen Objekten. Mir wurde vorgeworfen: Penisneid, Psychopatin, pervers, Männerhasserin. Ich könnte da vieles aufzählen. Da habe ich manchmal gedacht, was mache ich damit? Und daher habe ich mich irgendwie geschützt durch eben Unnahbarkeit, Pokerface, und mich auch zurückgezogen. Also ich habe fast niemanden mehr ins Atelier hineingelassen. Ja, eigentlich bis vor fünf Jahren. Ich war sehr, sehr abgeschottet diesbezüglich. Weil ich nur dumme Reaktionen geerntet habe. Und jetzt sind ja die Sachen alle verpackt, aber Gott sei Dank fotografiert und ich kommuniziere auch nur über die Fotos. Es sieht kaum wer, außer in Ausstellungen dann, die Arbeiten. Ich habe noch ein Lager, in dem alles verpackt ist. Und wenn jemand etwas haben möchte, muss er die Katze im Sack kaufen und aufgrund des Fotos sagen: „Ja, das gefällt mir, das ist super, das stelle ich aus.“ Und wenn er verlangt, dass es vorher anzusehen ist, sage ich: „Nein, das geht nicht.“ Nein, das geht nicht, weil das im letzten Eck steht und das tue ich mir nicht an. Das gebe ich dann erst her, wenn wirklich das Datum feststeht für diese Ausstellung. So mache ich das. Nur die, die sich wirklich was trauen und die Katze im Sack kaufen und spüren, dass es gut ist oder in ihr Konzept passt, mit denen arbeite ich zusammen. Mit denen arbeite ich hervorragend zusammen.
Das ist so ein bisschen wie bei dem Podcast. Ich stand vor dem Kunstgeschehen und dachte, ich checke irgendwie nicht so ganz, worum es geht. Dann habe ich vor zwei Jahren das ganze Equipment aufgestellt. Es ist jetzt nicht so aufwendig vom Setup her, aber es erfordert einen gewissen Mut sich darauf einzulassen. Ich muss den Mut haben zu schreiben und auch herzukommen. Aber du brauchst ja auch den Mut dann zu sagen: „Ja, cool, wir kennen uns nicht, aber wir reden jetzt einfach mal über die Fragen, die mich mein Leben lang begleitet haben.“ Da habe ich dann gemerkt, mich sprechen Dinge an, ich fange an in einen Austausch zu gehen. Ich blicke durch, ich merke, es gibt Leute, die interessieren sich für ähnliche Themen. Die haben ähnliche Herausforderungen gemeistert. Gleichzeitig merke ich aber auch, ob da ein Interesse ist an einem Austausch.
Du, das ist eine Parallelerfahrung zu meinen Handwerkern. Die, die sich wirklich für meine Arbeit, jetzt auch inhaltlich, nicht nur formal, auch materialmäßig, inhaltlich interessiert haben, das waren hochinteressante Menschen. Und mit vielen davon bin ich befreundet in der Zwischenzeit. Weil da wirklich ein Austausch war, nicht nur auf so einer primitivst physischen Ebene, sondern emotional, inhaltlich. Für sie war es eine Horizonterweiterung. Auch für mich, weil wenn ich da wirklich einen 1A-Handwerker kennenlerne, da kann ich einiges lernen von dem. Wie der umgeht, und wie er es macht und wie er an die Sache herangeht. Das ist ein wirklich toller, kreativer Austausch gewesen. Darum liebe ich das so mit diesen Leuten zusammenzuarbeiten. Das ist einfach Kommunikation. Wenn die Basis stimmt, ist‘s einfach aufregend. Das ist das Schönste am Leben eigentlich.
Das finde ich auch. Was mich jetzt noch interessieren würde: du hast gesagt, das war so eine schlimme, graue, eigentlich Sargstimmung da auf der Bildenden. Wie ging es dann weiter? Hast du Leute gehabt? Mit wem bist du eigentlich so abgehangen? Wie war das?
Ich hatte Glück, insofern in die richtige Zeit hineingeboren worden zu sein, weil damals so die feministische Bewegung auch nach Österreich gekommen ist. Die Frauen, nicht nur Künstlerinnen, sondern überhaupt die Frauen haben gespürt, es kommt eine neue Zeit und ich muss herausfinden, warum ich unglücklich bin. Warum ich mich nicht entfalten kann. Warum ich meine Träume nicht leben kann. Und diese Frage haben sich fast alle Frauen gestellt - durch sämtliche Berufe und durch sämtliche Bevölkerungsschichten und natürlich auch die Künstlerinnen.
Anfang der Siebziger hat das wirklich begonnen. Zum Beispiel 1972 hat sich zum ersten Mal eine politische Frauengruppe gegründet, die AUF- Aktion unabhängiger Frauen. Da habe ich auch mitgearbeitet. Wir haben ein Journal herausgegeben, die AUF-Zeitschrift. Die ist erst vor Kurzem eingestellt worden. Die hat sich so lange gehalten. Das war so mein erstes Hinaustreten aus diesem Sarg - da habe ich noch studiert - weil ich gespürt habe, das kann es nicht sein. Und dann habe ich gesehen, oh Gott, es gibt so viele Frauen, die die gleichen Fragen haben. Frauen, die auch nicht wissen, warum sie unglücklich sind. Das war so ein diffuses Unbehagen. Und das musste man hinterfragen. Warum bin ich eigentlich unzufrieden oder unglücklich? Und dann bin ich eben als erstes bei dieser Frauengruppe gelandet und habe in der Zeitung Artikel geschrieben. Aber dann ist etwas passiert, was auch gut war: Ich bin als Künstlerin nicht wahrgenommen worden dort. Und das war für mich schlimm. Für die sind Künstlerinnen so als elitäres Grüppchen betrachtet worden, weltfremd ein bisschen. „Ihr habt ja eigentlich mit diesen hochpolitischen Fragen nicht so viel zu tun. Ihr sitzt im Atelier, und irgendwelche ästhetischen Fragen, die nichts mit unserer politischen Situation zu tun haben“, so ungefähr war diese Meinung. Für mich war das nicht so. Ich war da schon mehr informiert oder mehr bewusst und ich kann mich gut an Diskussionen erinnern, wo ich gesagt habe: Ja du, ich weiß nicht, auch ich könnte ein Kind kriegen und muss mich dann fragen, woher nehme ich das Geld. Es gibt kein Kindergeld für uns Frauen. Wo ist da der Unterschied zwischen dir und mir als Künstlerin und die Situation ist die Gleiche. Es ist mir voll bewusst und ich möchte auch dafür arbeiten, aber trotzdem Künstlerin bleiben.
Na ja, jedenfalls habe ich mir gedacht, ich sollte doch Künstlerinnen kontaktieren. Und innerhalb kürzester Zeit habe ich herausgefunden, dass es in Wien wahnsinnig viele Künstlerinnen gegeben hat, die heraus wollten aus ihrer Unbekanntheit, aus ihrer familiären Situation, auch studiert haben, zwar nicht so viele noch, aber trotzdem auch genauso unglücklich waren wie ich. Und innerhalb von zwei, drei Jahren haben sich auch Gruppierungen, Künstlerinnen-Gruppierungen gebildet. Es war da auch eine Frau drunter, eine Künstlerin, die relativ begütert war und ein Haus im Zentrum von Wien gehabt hat, am Fleischmarkt, das Griechenbeisl. Die war eine ziemliche Kämpferin, politisch sehr bewusst. Die war die große Mäzenin. Die hat einen Raum in diesem Haus zur Verfügung gestellt, zuerst als Vereinslokal. Es hat sich die IntAkt gebildet, ich weiß nicht, ob du schon davon gehört hast, Internationale Arbeitsgemeinschaft für Bildende Künstlerinnen. Die hat eine Wohnung als Vereinslokal zur Verfügung gestellt und dann wurde es zur IntAkt-Galerie. Da ist in den Siebzigern ein reger Austausch entstanden innerhalb der österreichischen Künstlerinnen-Szene, aber auch mit Deutschland, Schweiz, Italien. Das war wirklich ein großer Aufbruch für uns.
Wie war der Austausch zwischen euch Künstlerinnen?
Ausstellungen haben wir ausgetauscht. Wir haben Symposien gemacht. Wir haben Künstlerinnen eingeladen oder sind eingeladen worden. Also ein reger Austausch, auf allen Linien. Und dann haben wir noch kulturpolitische Ziele angepeilt. Also wir haben versucht, Kindergeld für die Künstlerinnen vom Staat zu erwirken. Es hat zum Beispiel kein Karenzgeld gegeben damals, für uns Künstlerinnen. Du kennst die Zeiten nicht mehr. Man kann auch von den Jungen nicht wirklich ein Geschichtsbewusstsein verlangen, weil das einfach zu viel ist. Beziehungsweise, wenn sie darauf kommen, dass ihnen etwas fehlt, dann wäre es ganz gut, wenn sie nachlesen was geschah, wie es damals war und was geschah und was wir damals erwirkt haben. Weil auf diesem Polster sitzt ihr jetzt, Gott sei Dank. Das ist ja ganz gut, dass ihr nicht wieder von der Stunde null anfangen müsst, obwohl es euch auch nicht rosig geht, habe ich so das Gefühl.
Mit welcher Frage beschäftigt sich deine Arbeit? Also welche Fragen haben dich eigentlich im Laufe des Lebens angetrieben?
Verschiedene eigentlich, es waren verschiedene Themen. Das Thema Angst hat mich immer sehr interessiert. Warum? Das fundamentalste Gefühl bei jedem Menschen, also das heftigste Gefühl hinter allen anderen, Eifersucht, da, da, da, da, da, ist Angst. Das zutiefstliegende Gefühl ist Angst. Wie wir damit umgehen? Was passiert, wenn es hochkommt? Und damit zusammenhängend im weiteren und engeren Sinne: wie wir, Mann und Frau, wie die Geschlechterverhältnisse dadurch gefärbt sind. Ganz spontan ist mir Mitte der 70er für mein Projekt als Überbegriff „amo ergo sum“ gekommen. Das hat aus drei Teilen bestanden oder besteht noch immer: Pornografie, Irrungen, Utopie. Unter der Pornografie habe ich auch immer formuliert. Es ist mir gegangen um den Kampf der Geschlechter. Ich habe immer das Gefühl, dass wir miteinander kämpfen. Mann und Frau kämpfen miteinander, gegeneinander. Und das ist irgendwie das Hauptthema in meiner Arbeit, also in dem Zusammenhang die Sexualität. Natürlich auch der Eros, die Liebe in jeder Facette, also nicht nur die körperliche, sondern auch verschiedenste Formen. Die reine Liebe, was immer man darunter versteht. Wie soll ich das ausdrücken? Ist so schwierig. Es geht eigentlich um die Suche nach der Einheit von Körper, Seele und Geist. Das ist eigentlich mein großes Konzept.
Das passt jetzt gar nicht so gut dazu, aber jedes Mal, wenn ich für den Podcast die Leute treffe, wie dich zum Beispiel oder auch die anderen, ich bin danach immer so total durchwühlt und so. Ich verliebe mich auch immer in alle. Weißt du, wir haben jetzt ein Date.
Ich habe mir auch gedacht, ich habe heute ein Date. Das ist sehr schön. Diese Öffnung, ja? Und natürlich auch, weil wir bei der Angst sind. Man hat immer Angst vor Verletzungen. Und wenn man sich dem aber ganz hingeben kann, ist das wunderbar. Das ist auch ein Mut. Man muss auch mutig sein in der Richtung.
Ja, das Mutige, ich glaube, das ist auch was, was man da herausspürt. Und das Sinnliche. Also, das hat mich auf jeden Fall am meisten bewegt. So die Kombination von dem.
Weißt du, wir sind ja alles. Wir sind Tiere. Wirklich! Animalisch können wir sein. Aber dann sind wir auch wieder Engel rein, sehnsuchtsvoll, wissend. Und dann wieder: boah! Wirklich zerstörerisch, total. Dann wieder unheimlich schöpferisch, neu schaffend. Und wenn das alles so nebeneinander ist, ist das herrlich. Das ist so lebendig. Wahnsinnig lebendig. Und das kann man in der Kunst sein, oder das muss man sogar sein. Dem muss man sich hingeben. Dem muss man sich hingeben, total sich öffnen. Den Mut muss man haben. Sonst ist man nur epigonal. Sonst ist man nie authentisch.
Die Sozialwissenschaftlerin Brené Brown hat gesagt: „shame is fear of disconnection.“ Das hat auch wieder das Angstthema mit drin. Die hat das untersucht, um dann Begriffe wie zum Beispiel Scham zu definieren. Verbundenheit, finde ich, ist ja auch ein Thema mit Bezug auf diesen Kampf oder das Ringen zwischen Mann und Frau. Ich glaube, das ist voll das zentrale Thema. Wenn man jetzt sagt, ihr musstet damals stark für die Frauenrechte eintreten, dann sehe ich es jetzt zum Beispiel bei mir so, dass ich eher für die Verbundenheit an sich zwischen Menschen eintreten muss.
Ja, weil dein Selbstverständnis als Frau ist dir sicher, oder? Du weißt, was du bist als Frau auch in deiner Sozialisierung. In deiner politischen, sozialen, emotionalen Situation bist du sehr bewusst, kommt mir vor. Also du weißt, wer du bist, sozusagen, auch als Frau. Du brauchst nicht mehr um dein Selbstverständnis ringen oder so. So wie du hier sitzt und sprichst und was du gelernt hast und wie du das bewusst reflektierst, ist das kein Thema mehr für dich. Das Thema Frausein jetzt in dem Sinne. Das Thema Verbundenheit habe ich schon. Es baut ja darauf auf. Das da natürlich schon. Aber das erfordert schon eine gewisse Distanz zu diesem Frausein, was bin ich eigentlich. Diese Hinterfragung hast du nicht mehr, glaube ich. Das ist der Vorteil deiner Zeit, in der du jetzt wirklich agieren kannst, wirklich kommunizieren kannst. Ich habe noch Angst vor Kommunikation gehabt. Große Angst, deshalb auch arrogantes Zurückziehen. Ist eigentlich ein Schutzmechanismus gewesen, Angst vor Verletzungen.
Wo ich sofort dachte, ich muss mit dir reden, war nämlich, dass du so dich mit Feminismus auseinandergesetzt hast und mit Weiblichkeit, ohne eine Moral zu predigen. Weil ich sonst oft auch eher einen Bogen darum gemacht habe, weil ich schlechte Erfahrungen zum Teil gesammelt habe. Ich habe oft miterlebt, dass ich eher gemaßregelt wurde. Oder dass ich am Ende dann wieder falsch war, also jetzt nicht von den Männern gesagt, sondern dann wieder von irgendwelchen Frauen. Das Gefühl hatte ich bei dir nicht, als ich die Arbeiten gesehen habe, weil ich sie so geil fand.
Toll. Weil du sagst „geil“: das begleitet mich bis heute. Ich habe ein großes Lustgefühl beim Arbeiten. Der Entstehungsprozess und auch die Themen, die finde ich einfach geil, im wahrsten Sinne des Wortes. Diese ganzen Sexshop-Waren, diese Schnuller, diese sinnlichen Formen, mit denen umzugehen, auch mit einer ironischen Distanz, alles das nicht ernst zu nehmen, sondern immer auch abzurücken, sodass man sich nicht verrennt, sondern eben immer eine kluge Distanz hält, das ist einfach aufregend für mich. Ich muss wirklich sagen, ein Lustgefühl begleitet mich, hat mich immer schon beim Arbeiten begleitet, sowohl inhaltlich wie auch im Umgang mit den Materialien. Diese verschiedensten Materialien, wie die Härte und Glätte und Schärfe des Plexiglases, hat mich genauso angezogen und auch abgestoßen. Die Sexshop-Artikel, diese klebrigen Gummisachen, die Präservative, diese Gummihäute, die waren anziehend und abstoßend zugleich. Und diese Ambivalenzen, die durchziehen meine Arbeit, also gefühlsmäßig. Das kommt natürlich auch in den Formen dann, in der Materialisierung, durch. Es ist weg und wieder weg und wieder weg und wieder hin. In diesem Zusammenhang sind auch diese Messerschnuller, diese ambivalenten Objekte entstanden, wo es auch um Anziehung und Abstoßung, also um Zärtlichkeit und Schmerz geht. Beides ist ganz eng miteinander verbunden.
Das hat nämlich auch Brené Brown gesagt: ein großes Hindernis wirklich Glück zu empfinden ist natürlich die Angst vor dem Schmerz. Weil Glück zu empfinden bereits mit Schmerz verbunden ist. Das passiert gleichzeitig.
Ja, genau. Darum ist Liebe Schmerz. Weißt du, wenn ich mich so öffne, das ist zugleich ein unendlicher, wunderbarer Schmerz.
Dann hat sie gesagt, die Reaktion von vielen ist Abstumpfen, oder sich betäuben. Das fand ich interessant. Aber du meinst, es sind immer die Frauen, die finden deine Sachen immer cooler?
Ja, also die sind einfach mutiger und offener. Seit den Siebzigern, wo ich mich intensivst mit diesen antiphallischen Karikaturen beschäftigt habe, merke ich, dass die Männer ihre Sexualität todernst nehmen. Wenn man sich ihrem Schwänzchen irgendwie nähert ...
Das geht zu weit! Wie hast du das gemerkt, also wie zeigt sich das?
Durch Diffamierung, durch Beschimpfungen. Ganz konkret im Kunstbetrieb wurde ich ausgeladen, oder überhaupt nicht eingeladen und eben als Psychopathin und Männerhasserin und Phallusabpackerin und weiß Gott was, beschimpft. Also das war ganz offene Aggression, offenste Aggression. Ich kann mich gut erinnern, so in der Mitte der 70er Jahre hat Ernest Bornemann, der Sexualforscher, ein Symposium veranstaltet über Sexualität und Kunst und hat mich ins Podium eingeladen. Ich habe ihm meine Arbeit vorgestellt und dann steht, nachdem ich gesprochen habe, ein junger Mann auf und sagt: „diese Frau ist psychisch krank.“ Man wollte mich abführen, mehr oder weniger. Da ist der Bornemann aufgestanden und hat gesagt: „wenn ich so psychisch so gesund wäre, wie diese Frau, die fähig ist, mit einer derartigen ironischen Distanz mit diesen Themen umzugehen, wäre ich froh.“ Er hat mich vor allen, das waren tausende Leute, er hat mich verteidigt. Aber das war eine typische Reaktion: ein junger Mann, der hat sich total angegriffen gefühlt. Dann hat er gesagt, diese Frau gehört abgeführt. Das ist so eine typische Reaktion. Oder diese Streicheleinheiten, diese Gummihäute: in den 70er Jahren war in der Straßenbahn eine sogenannte Straßenbahnzeitung, eine Wochenzeitung. Da war eine Abbildung drinnen. Irgendein Redakteur hat das abgebildet und das hat ein junger Mann offensichtlich gelesen. Der hat mich ausfindig gemacht und ist ins Atelier raufgekommen. Er hat angeklopft. Ich, naiv, wie ich ja war, habe aufgemacht. Ich habe gesagt: „Ja, wer ist da?“ „Ich habe das in der Zeitung gelesen, ich hätte auch gern Streicheleinheiten bitte.“ Aber nicht harmlos, nicht nur witzig, sondern ziemlich frech. Kann ich bitte Streicheleinheiten haben und hat schon den Fuß in der Tür gehabt. Solche Dinge habe ich erlebt. Das ist nur eine von vielen, vielen, vielen Geschichten.
Bei der Arbeit war ich sofort hin und weg. Ich glaube, was mir so gefallen hat ist, wie du so behutsam und zärtlich diese Puppe ausziehst und sie dann küsst, zwischen den Beinen, mit diesem Hut und so.
Das heißt ja „Verführung“. Es gibt noch eine Fotoserie drinnen, weil du sagst, zärtlich. Ich habe versucht, mich in diesen Zyklen in die Psyche eines Mannes hineinzuversetzen, unter anderem eines verführenden und einmal eines rapenden. Einer, der eine Frau vergewaltigt. Das sind Selbstauslöserfotos, wirklich allein in der Intimität des Ateliers. Ich hätte mich nie von jemandem in der Richtung fotografieren lassen können. Das war mir viel zu nahe, viel zu intim. Da habe ich die Puppe auf den Tisch gelegt und habe mich als Mann verkleidet und habe versucht, sie zu vergewaltigen. Aber was ist draus geworden? Wie du eben richtig sagst, auch hier eine zärtliche Umarmung. Ich konnte mich wirklich in die Psyche eines vergewaltigenden Mannes nur rudimentär einfühlen. Das war mir total fremd. Diese Verführung war ja nicht so schlimm, wie die Onaniesequenz für mich, also emotional, aber da ist es eben auch eigentlich eine sehr zärtliche Sequenz. Es ist alles getragen von einer Leidenschaft. Wie das Wort schon sagt, von Leiden, man erleidet das alles, weil das sind schon lauter Eruptionen, die einfach rauskommen müssen und lauter Geburten. Wirklich, das kommt so aus einem Breaking Ground raus. Permanent. Man ist na nur begrenzt auch zeitlich und körperlich und energetisch, aber das, was am heftigsten drängt, das kommt raus.
Das habe ich mir mal gesagt: tun statt reflektieren, fühlen statt denken, Fantasie statt Konzept. Mich interessiert ja immer das Wesenhafte. Was hast du noch für Baustellen, an denen du grade brütest?
Ich nehme mir überhaupt nichts mehr vor, nichts mehr. Alles offen. Was kommt, das kommt. Und das nehme ich freudig auf. Und es macht mir nach wie vor Spaß, logistische Konzepte zu entwickeln, so dass das Ganze wirklich entstehen kann. Das ist ja relativ mühsam und zeitaufwändig und so weiter. Dazu habe ich noch Kraft. Aber ein Konzept habe ich überhaupt keines. Nein, nichts. Ich lasse alles geschehen, was kommt. Ganz frei.
Jetzt kommen wahrscheinlich erstmal die ganzen Leute, die die ganzen Kartons aus deinem Lager und aus deinem Atelier wollen. Die Katzen im Sack müssen jetzt verteilt werden in der Welt.
Ja du, es bewegt sich so viel. Es ist unglaublich. Aber ich denke darüber nicht nach. Ich mache keine Pläne, sondern öffne mich einfach Tag für Tag dem, was kommen soll und kann und bin für alle Überraschungen bereit.
Was hat dich mal so richtig überrascht? Ich finde das interessant, Überraschungen, womit man überhaupt nicht gerechnet hat. Zum Beispiel wie der Galerist in London, der hat dich auch ein bisschen überrascht, habe ich das Gefühl.
Nein, das überrascht mich eigentlich nicht, weil es ja eine konsequente Entwicklung ist. Eigentlich ist nichts Überraschendes dran, überhaupt nicht. Und sonst, überrascht? Was überrascht mich eigentlich? Mein Durchhaltevermögen, was Projekte betrifft. Das ist immer überraschend, dass ich da wirklich den Atem habe und von A bis Z eben durchhalten kann. Und zwar deshalb, weil es nach Fertigstellung des Projektes einen kurzen Augenblick des vollkommenen Glücks gibt. Das verstehe ich eigentlich unter Erfolg. Nicht so sehr das Äußere. Ja schön, Geld verdienen und gelobt werden und gepriesen werden und was weiß ich, ja schön. Aber der wirkliche Erfolg ist der, wenn etwas in mir aufsteigt, ein Bild. Und das wird immer klarer und klarer. Und ich weiß, das muss ich jetzt ausführen. Erfolg erachte ich für mich als wirklich befriedigend, glücklich machenden Erfolg, wenn das Ergebnis total deckungsgleich ist mit der ursprünglichen Idee. Wenn das wirklich genauso bis in die kleinste Kleinigkeit dann vor mir steht, wie ich es vor dem inneren Auge gehabt habe. Das ist Erfolg. Und das braucht oft ein Jahr, wenn es eine komplizierte Sache ist: viel, viel Durchhaltevermögen, Geld, emotionalen Einsatz, körperlichen Einsatz und so weiter. Und das hält mich an der Stange sozusagen, weil dann ein ganz kurzer Augenblick, wenn es dann steht, ganz kurzer: Ah, ja genauso! Aber nur ganz kurz, weil dann schon wieder das Nächste kommt. Ganz kurz nur. Nächstes, weg, Nächstes, weg, Nächstes. Aber das ist auch keine Überraschung in dem Sinne, sondern nur eine Bestätigung. Aber überrascht? Ich weiß nicht, ich bin von gar nichts überrascht, werde ich von nichts überrascht. Von Attacken, von hinten oder so. Was war denn da jetzt los? Warum ist das? Ich bin mir nicht immer ganz bewusst über die Wirkung, die ich habe. Wie mich Menschen sehen und wie sie drauf reagieren. Da bin ich oft überrascht. Wieso eigentlich? Warum? Was strahle ich aus, dass der so reagiert? Das ist vielleicht so das Einzige, was mich überrascht manches Mal. Aber wenn ich genauer analysieren würde, mein Verhalten oder mir vielleicht wirklich absolut bewusst wäre, wie ich mich verhalte und was ich bin, was ich ausstrahle, würde ich da auch nicht mehr überrascht sein. Oft ist es mir wurscht. Was solls? Ich bin so, wie ich bin.
Du hast dich auch mit Matriarchatsforschung auseinandergesetzt, oder?
Ja im Zusammenhang unserer Selbstfindungsprozesse und vor allem der Kommunikationsprozess innerhalb der Gruppierungen, ist es natürlich auch zu Kämpfen gekommen, zu Streitereien, zu Machtgerangel, zu Hierarchien. Da haben wir uns gefragt, wie ist das mit uns Frauen? Wie üben wir Macht aus? Wie haben das früher die Matriarchatsgruppen gemacht? Sind die liebevoll miteinander umgegangen?
Das waren schon virulente Fragen damals. Weil wir natürlich genauso eifersüchtig aufeinander waren und in den Gruppen, in den Gruppenbesprechungen verschiedenste Meinungen aufgetaucht sind, die von anderen wieder total und autoritär abgelehnt wurden. Dann hat es eben Frauen gegeben, die sehr darauf bedacht waren, die Führerinnen zu sein. Und andere wieder waren sehr zurückhaltend und bescheiden. Alle diese Emotionen und dieses Machtgerangel war natürlich bei uns genauso wie bei Männern, nur sind die geschulter. Die können oder waren geschult und sind geschulter im Umgang mit diesem Instrument, dem Machtkampf, was sicher nichts Schlechtes ist. Es kommt immer so darauf an, was ich damit tue. Und das mussten wir auch alles lernen. Da haben wir uns eben auch mit dem Matriarchat beschäftigt, weil wir wissen wollten: wie sind die miteinander umgegangen? Haben die Krieg geführt? Haben sie sich gegenseitig abgeschlachtet? Sie sind viel klüger und nicht so aggressiv miteinander umgegangen, liebender, einfach liebender.
Was ich bei mir beobachtet habe: ich habe das Gefühl, ich bin eine emanzipierte Frau. Ich habe einen Diplomingenieur gemacht und jetzt mache ich Kunst. Aber wie arbeite ich eigentlich? Wie treffe ich Entscheidungen? Irgendwann habe ich für mich festgestellt, dass ich innerlich schon auch ein bisschen so ein Patriarchat entwickelt habe. Wenn ich zu einem Zeitpunkt etwas geschafft haben will, dann muss ich mich unter Druck setzen. Ich dachte dann: das bringt ja nichts, wenn ich in der äußeren Welt als emanzipiert gelte, wenn ich innerlich aber eigentlich Strukturen habe, als wäre ich mein eigener Herrscher. So wirken halt manche inneren Facetten von mir, die über andere maßregeln und herrschen. Ja und deshalb arbeite ich an meiner inneren Demokratie.
Oh, toll! Und misst du das auch an einem Partner oder einer Partnerin? Ich meine, da lernt man ja viel darüber, wenn man in einer Gemeinschaft lebt, egal ob mit Mann oder Frau. Was gibt es da für Hierarchien? Wer beherrscht wen? Das ist immer, was mich auch, was mich jetzt noch interessiert. Diese hierarchischen Strukturen von den obersten Regierungsetagen bis unter die Bettdecke. Wie geht es da zu? Wer ist da oben? Und wer ist unten, im wahrsten Sinne des Wortes? Das spürt man ja in einer Partnerschaft, wer hat die Hosen an? Wer hat den Rock an?
Je nachdem, wer innerlich in einem gerad das Sagen hat, wirkt sich das auf die Beziehung aus, nicht nur zum Partner, auch zu den Arbeitskollegen zum Beispiel. Mich hat das überrascht, muss ich sagen. Als ich angefangen habe stärker reinzuspüren, wie meine innere Diskussion geprägt ist. Wie finde ich für mich einen Konsens? Wie treffe ich dann die Entscheidung? Und wie setze ich was durch? Man kann auch innerlich seine Machtverhältnisse ändern, die einen vorher durch die Mittel wie Druck machen, Angst machen oder sonst was, vielleicht weitergebracht haben. Man muss eigentlich ein bisschen ...
Relaxen. Wo liegt denn eigentlich meine Kraft wirklich? Wo ist die? Wo nehme ich mein Selbstverständnis und meine Kraft und meinen Mut? Wo ist der? Das muss man hinterfragen. Und warum habe ich Angst vor dem anderen? Das muss man klar beantworten für sich selbst. Denn nur aus diesen Ängsten heraus kommt dieses Machtgetue. Wenn man keine Angst hat, braucht man keine Macht ausüben.
Ich habe die besonders für meinen Artistic Research wichtigen Passagen des Gesprächs als Text zum Nachlesen aufbereitet.
Gespräch zwischen Renate Bertlmann und Nina Gospodin: "Aus dem Dialog mit Renate Bertlmann", Nina Gospodin (Hrsg.), aufgenommen am 30.03.2017, publiziert am 14.08.2017 auf
www.podcast.ninagospodin.com
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