Ein Gespräch mit Mary Gold über ihr Vorgehen als Künstlerin

Dialog mit der Künstlerin Mary Gold

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Zusammenfassung und Themen

Die Künstlerin Mary Gold hat mich mit ihrer Arbeit "Hochwanderzeit" im Salon Gospodin besucht. Im Sommer habe ich 10 Künstlerinnen und Künstler mit Arbeiten von sich im Gepäck in mein Atelier zum Künstleraustausch eingeladen. Wir haben einen Tag zusammen verbracht und am Abend die Türen für Gäste geöffnet. Mir war es wichtig wirklich zu sehen, was die anderen tun und nicht nur darüber zu reden.Obwohl die Arbeit bereits vor Jahren entstanden ist, feierte sie in meinem Salon Premiere. Manchmal erschaffen wir etwas, was uns sehr am Herzen liegt und sehr persönlich ist und dann ist es gar nicht so leicht es zu zeigen; den richtigen Rahmen zu finden. Ich habe mich total gefreut, dass mein Salon der richtige Rahmen für diese Arbeit war.

Die Arbeit "Hochwanderzeit" greift den Hochzeitstag und das Leben danach als Idee auf und setzt sie in eine Wanderung um. Im Hochzeitsgewand ging es ins Hochgebirge. Dabei ist eine photographische Arbeit entstanden. Die Fotoserie zeigt zerrissen und aufgerissne Fragmente von Hochzeitsgewand, fotografisch dokumentiert auf einem neutral grauen Hintergrund im Studio-Setting. Die Künstlerin hat untersucht, wie sich Hochzeitskleidung verändert durch eine gemeinsame Wanderung. Was bleibt vom Glanz, was kommt weg und was muss transformiert werden? Mary Golds künstlerische Arbeit über das Heiraten regt zum Nachdenken an. Das Thema lässt einfach niemanden kalt. In diesem Gesprächsteil erzählt sie davon, wie sie es angegangen ist, einen Gesprächsraum zum Thema Hochzeit zu öffnen und Menschen zum Reflektieren einzuladen.

Aus dem Dialog mit Mary Gold

Hi Mary, was hast du mitgebracht? Und worum geht es in dem Projekt?

Hi Nina, danke für die Einladung. Die Grundidee oder das Projekt an sich ist eine Art Performance, wobei ich das Wort Performance auch ein bisschen strange finde. Bei Performance denke ich, da muss es doch ein Publikum geben und das gab es ja nicht damals. Die Grundidee war meine Frage nach dem Heiraten gar nicht nach dem verheiratet sein und was das macht, sondern nach dieser Zeremonie und diesem einen Tag, an dem man sich diese schönen Klamotten anzieht und dann eine fette Party macht. Ich frage mich, wie steht dieser eine Tag und dieser Aufputz in Relation zu dem, was man später gemeinsam erleben wird in einem gemeinsamen Lebensweg. Ich wollte mir das mit meinem Freund einfach ansehen. Ich habe den also, auch Künstler, damals dann gefragt. Also der ist jetzt nicht so begeistert vom Heiraten, so prinzipiell. Ich habe ihn gefragt ob er bereit wäre mit mir eine Performance zu machen, die sich so zusammensetzt, dass man Hochzeitsgewand anzieht und mit dem dann ins Gebirge geht und wandert für mehrere Tage. Wandern, um zu schauen, was eben dieses schöne Gewand und dieser Aufputz mit einem gemeinsamen Weg zu tun hat, wie sich das verändert, was man halten kann von diesem Glanz und Glamour und was irgendwie gehen muss oder was transformiert werden kann an dieser Kleidung.

Ist das, wie eine künstlerische Forschungsexpedition, eine Wanderung oder ein Experiment, wie ein Versuch?

Es ist natürlich ein bisschen eine persönliche Note da drin, aber es war natürlich auch eine Art Versuch meinerseits, weil wir damals - ich weiß gar nicht, wie lange wir da zusammen waren, ich glaube ein Jahr oder so. Das ist jetzt schon so lange her. Viele Leute heiraten nach einem Jahr ja wirklich. Das hätte ich nie gemacht. Das kann ja super gut gehen. Ich möchte da nicht judgmental reinfahren und sagen, das kann nicht sein.

Ich habe am Wochenende eine Reality-TV Show gesehen, die hieß „Marriage on first sight“. Diesen Ausgangspunkt von dieser Zeremonie, das habt ihr genommen und das hat diese Fernsehsendung auch.

Ich glaube, dass diese Zeremonie viele Leute fasziniert. Du hast ja auch diese ganzen kleinen Mädchen, die sich schon ihre Hochzeitskleider ausmalen und ich glaube ja immer wieder, das ist diese Fantasie und dieser Traum einer Hochzeit. Ich glaube, dass die sich nicht ausmalen, wie wird das sein, mit einem Menschen 30-40 Jahre zusammen zu gehen und Dinge gemeinsam zu machen, Scheiße durchleben, geile Sachen zu durchleben. Sondern ich glaube, dass viele da einfach wirklich fixiert sind auf diesen Tag: da bin ich fucking center of this world und alles dreht sich um meine Wünsche - von mir aus auch unsere Wünsche. Aber man kennt ja auch diesen Ausspruch „It’s the bride’s day“. Es ist der Tag, an dem die Frauen alles entscheiden. Ich finde das faszinierend. Ich will auch das gar nicht beurteilen, aber ich finde das ist faszinierend, dass sich da vieles um diesen einen Tag dreht und der ist doch aber eigentlich der Start einer sehr langen Reise. Die ist dann nicht so glamourös und ich glaube, dass das viele auch dann frustriert auf dem Weg, dass man dann plötzlich nicht mehr das geile Kleid an hat und alle sagen eure Liebe ist so schön.

Ich dachte mir damals, was wäre denn, wenn wir das machen. Du hattest nach diesem Experimentalcharakter gefragt und natürlich war das für mich auch eine Art Experiment. Zu schauen, was wäre, was passiert, wenn wir jetzt da so herum latschen, Wandern gehen mit dem unterliegenden Gedanken, das ist jetzt symbolhaft für einen wirklichen gemeinsamen Weg. Natürlich war das eine Art Experiment, um zu schauen, wie machen wir das jetzt gemeinsam. Wo zieht es uns hin? Was ist, wenn es gerad scheiße ist? Wird es urtoll? Ja, also ich wollte da schon einiges auch wissen auf einer persönlichen Ebene zwischen meinem Freund und mir und natürlich auch auf einer Metaebene. Die habe ich auf dieses Kleidungsstück oder diese Kleidungsstücke projiziert.


Ihr seid quasi im Hochzeitsgewand, also du im Hochzeitskleider und Christian im Anzug Wandern gegangen vier Tage? Das, was nach diesem Fest kommt, das habt ihr landschaftlich wirklich aufgegriffen, seid ihr begangen?

Genau! Mit Schneefeldern und Geröll, Unten, Mitte, mit Steigung. Das haben wir landschaftlich simuliert. Und der Deal war, wenn man sich selber sowas ausdenkt und ein Kunstprojekt startet, dann kann man natürlich auch seine eigenen Regeln setzen. Der Deal war, Hochzeitskleidung. Im Rucksack sind frische Unterhosen für die nächsten Tage und was mir wichtig war, weil ich einfach oft in die Berge gehe, festes Schuhwerk. Also da jetzt irgendwie mit dämlichen Hochzeitsstöckeln herumzurennen, sollte ich jemals heiraten würde ich auch dann nicht in Hacken heiraten. Das war mir wichtig, dass wir einfach mit gutem Schuhwerk gehen, weil ich wusste, ich möchte einfach Höhen und Tiefen durchschreiten können. Es wäre Wahnsinn gewesen mit irgendeinem anderen Schuhwerk. Es war schon anstrengend mit dem Gewand und der Schleppe und dem Unterrock, aber Schuhwerk ist einfach essenziell.

Erzähl mal kurz, was du mitgebracht hast!

Ich greife nochmal kurz zurück: der Grundgedanke war ja zu schauen, was bleibt von diesem Glanz, was kommt weg, was muss transformiert werden? Wir haben dann diese Kleidung einfach adaptiert. Die Schleppe war anstrengend, die musste ab, war dann aber praktisch als Schultertuch und ein Teil davon als Kopftuch, wenn es heiß war. Christian hat sich die Manschetten abgeschnitten, weil ihn die so fürchterlich gewetzt haben. Die Hose ist so adaptiert, dass er sie bei den Knien abgeschnitten hat, um wenn es kalt ist die unteren Teile für die Unterschenkel wieder dran pinnen zu können mit Sicherheitsnadeln. Wenn es heiß ist, hat er halt einfach quasi kurze Hosen gehabt. Somit hat sich ergeben, dass wir nicht mehr nur einen Anzug und ein Kleid hatten, sondern nach der Reise war es einfach ein Kleid, eine Schleppe, der Rock, ein rausgerisser Teil von hier, die abgeschnittenen Manschetten. Es waren einfach viele, viele Teile.

Diese Teile habe ich fotografisch dokumentiert auf einem neutral grauen Hintergrund im Studio-Setting. Das war mir wichtig, das neutralgrau zu machen, weil das ist eine fotografische Arbeit und man hat dann diese zwei Extremwerte, die Frau in Weiß, der Mann in Schwarz. Ich dachte mir, sehr schön, da liegt ja das Grau dazwischen. Da sind elf Bilder dabei entstanden. Diese elf Fotografien durfte ich bei dir im Lichtschacht zeigen. Wir haben diese Reise ja auf vielen Ebenen dokumentiert, aber unter anderem hatten wir eine Digitalkamera mit dabei, um einander gegenseitig zu dokumentieren bei Transformationen in diversen Situationen. Die Dokumentation durfte ich im Atelierraum zeigen, so als eine Art Slideshow, die durchläuft und So eine Art Überblick darüber gibt, welche Stationen auf der Reise waren.

Ihr hattet doch auch einen Kumpel, der euch da fotografiert hat, oder? Wie war das genau?

Genau, aber das ist kein Material, das ich mitgenommen hatte. Wir hatten einen befreundeten Fotografen, den Bastian Schwind, gebeten uns in an der Ausgangsposition, in der Josefstadt in Wien zu fotografieren - im Hochzeitsgewand vorm Standesamt. Dort, weil wir uns dachten: ja wenn wir tatsächlich heiraten würden, dann sehr wahrscheinlich da, weil das ist das nächste Standesamt und mein Bruder hat auch dort geheiratet. Deswegen dachte ich mir, das ist ein guter Ausgangspunkt. Sebastian Schwind hat dann analoge Fotos gemacht von uns beiden in Anzug und Kleid.

Wir sind in Hallstadt dann wieder rausgekommen. Das war unsere Endstation. Wir haben uns einen Punkt ausgemacht an dem wir am Nachmittag da sein werden und Bastian hat uns dort erwartet, mit der Kamera dann auch dokumentiert, wie wir näher kommen und uns dann eben nochmal fotografiert in diesem Finalzustand der Kleidung. Ich fand das echt spannend. Ich muss das jetzt echt betonen, es geht mir ja wirklich nicht darum da irgendwie was zu bewerten, aber ich fand es echt schön wie man sieht, was für ein Unterschied in unserer Interaktion auf den Bildern da ist: vor der Reise und nach der Reise.

Also, wir haben uns volle Wäsche gefetzt auf der Reise, sind uns am Arsch gegangen, aber es war auch richtig, richtig anstrengend. Wir sind wirklich über Schneefelder gegangen, sind in einen fetten Regen reingekommen, hatten wirklich schwieriges Wetter für ein Berg. Wir sind dann Österreichs längste Skipiste runterspaziert im Sommer. Ist natürlich volle beschissen und nur Geröll. Es war anstrengend, wirklich anstrengend und natürlich waren wir auch teilweise edgy und teilweise auch echt happy, weil wir waren schwimmen im hallstädter See und so. Wir haben echt schöne Sachen erlebt. Es klingt ein bisschen lächerlich nach diesem 4 Tage und natürlich haben uns vorher auch schon gekannt, aber ich hatte schon das Gefühl, dass man das auf diesen Bildern sieht, eine andere Art der Interaktionen und der Kommunikation.

Eigentlich habt ihr auch die Verbindung zwischen euch untersucht, oder?

Ja sicher! Diese Arbeit ist alt, eigentlich. Die ist wirklich mehrere Jahre alt und ich habe sie nie gezeigt. Ich finde sie irre spannend, ich finde sie geil und es taugt mir auch total. Aber sie hat natürlich was wahnsinnig Persönliches und das war mir lange Zeit doch einfach unangenehm, das zu zeigen. Deswegen auch nochmal Danke an diesen Rahmen. Wo besser, als bei dir das jetzt zu zeigen und zu wissen, da fühle ich mich wohl und das kann ich auch hier zeigen. Da weiß ich, unter welchen Bedingungen ist das zeige.

Im Nachhinein habe ich nochmal darüber nachgedacht vom Setting her. Draußen waren diese Bestandsaufnahme-Bilder. Dadurch, dass wir diese Reisedokumentation in dem anderen Raum hatten, hat man da dann natürlich die Berge, die Umgebung gesehen. Ich weiß noch, du warst mal in einem See drinnen. Irgendwann habe ich gecheckt, wie lang deine Schleppe war. Dann bist du über ein Geröllfeld gerannt. Irgendwann habe ich bemerkt, dass du echt einen Teil vom Kleid am Kopf hattest. Ich habe voll lange gebraucht, um das überhaupt zu sehen. Auch Christian, diese verschiedenen Körperhaltungen, wo er so ganz zelebrierend rumgesprungen ist und dann so bähhhh.

Ja, wir waren auch echt merciless miteinander. Christian ist ja ein bisschen brutal im Fotografieren. Da gibt's Fotos von mir, wo ich echt richtig, richtig pissig bin und das sind die Momente, wo er dann sagt: Klick, klick, klick, ich muss es dokumentieren. Das macht mich natürlich noch wütender dann. Und dann bin ich halt auch sehr erbarmungslos geworden habe von ihm auch echt frustrierte Bilder gemacht. Im Nachhinein finde ich das super, weil es hat etwas sehr Reales. Warum erfährt man das alles so langsam? Es ist irre viel Material. Das muss man schon auch ehrlich sagen. Sollte ich das mal für einen anderen Rahmen aufbereiten, dann müsste ich da auch stark durchkämmen und aussortieren. Weniger Material zeigen und vielleicht noch Material zeigen, dass exemplarischer steht für gewisse Abschnitte des Weges und für gewisse Sentimente, die man dort gehabt hat.

Die Bestandsaufnahme am Ende vor dem grauen Hintergrund war sehr neutral gehalten und hat wirklich nur die Hülle, also diese Kleidung gezeigt. Was bei mir am meisten hängen geblieben ist bei den Fotos, die die Wanderung dokumentieren, waren diese verschiedenen Körperhaltungen. Weil ganz viele, wie du auch meintest, Gemütszustände darin enthalten waren.

Du warst manchmal ganz weiblich und naturverbunden, ästhetisch, liebreizend und hast in die Kamera geschmachtet und manchmal ganz nüchtern, total abgekämpft und pissed und fertig, also von himmelhoch jauchzend bis akkro. Das fand ich interessant. Auf den Bestandsaufnahmen am Ende hingen die Sachen einfach so ganz ordentlich aufgehangen im Fotostudio. Das hat mir gut gefallen. Wenn du diesen Grundgedanken nimmst von der Wanderung, die ihr euch erst imaginiert habt und dann aber auch tatsächlich durchgeführt habt, wo man aber tatsächlich auch an der Körperhaltung alle möglichen Zustände und Haltungen sehen kann, dann war das eine coole Kombination.

Super, dass das so rezipiert wird. Gewandt und Körper sind ja einfach so vergeschwistert. Ein Körper gibt so einer Hülle Form. Auf der anderen Seite gibt auch so ein so ein Kleidungsstück einem Körper wiederum auch eine gewisse Haltung. Man steht natürlich anders in der Landschaft in so einem Hochzeitskleid, als in einem Jogginganzug. Das macht auch etwas mit dem Körper. Dieses Zusammenspiel finde ich schön. Warum sind diese Fotos so nüchtern? Weil ich halt einfach ganz dringend vermeiden möchte mit diesem Teil der Arbeit irgendwo in eine Wertung zu gehen. Ich finde, es steht mir nicht zu ein Urteil zu fällen über Heiraten hurra oder Heiraten scheiße. Das ist mir auch nicht wichtig, das irgendwie auszusagen. Ich hatte gefürchtet, dass wenn man diese Bilder zwischen uns beiden in den Vordergrund rückt, dass da einfach diese Emotionen sehr viel transportieren. Weil wir da einfach Emotionen hatten. Wenn ich jetzt alle Fotos aufhänge, wo wir pissig ausschauen, sagt das was aus. Wenn wir jetzt alle Fotos aufhängen, wo wir ganz romantisch drauf sind, sagt das auch was aus. Diese Aussage möchte ich aber gar nicht treffen, die ist für mich nicht relevant.
Für mich war eher relevant: kann man von diesem Prinz und Prinzessin für einen Tag, kann man da was mitnehmen, kann man sich das adaptieren, kann man davon zehren? Deshalb ebendiese nüchternen Bilder der Kleidung, weil ich finde, das war einfach die Quintessenz. Ich denke, das sieht man auch ganz klar an diesen Bildern, dass da was bleiben kann, dass da sich aber auch ganz klar was verändern muss.

Ich denke, so ist es seitdem mit Beziehungen auch. Natürlich bleibt da was von diesem Funken, der am Anfang da herumzundert. Der bleibt einfach. Natürlich muss sich der aber auch verändern. Das wird ein anderes Feuer. Das muss praktischer werden. Wenn man immer mit Schmetterlingen im Bauch rumrennt, dann kriegt man ja nie wieder was auf die Reihe. Diese ersten Monate, die man miteinander verbringt, ist man ja so auf Wolke 7 und kriege echt nichts mehr gebacken im Außen, also gar nichts. Wenn man das für immer wäre zu zweit, das wäre ja eigentlich eine Katastrophe. Man wär ja lebensunfähig, sage ich jetzt mal aus meiner Perspektive. Auf der anderen Seite, wenn man das das komplett verliert, dann beendet man eine Beziehung wahrscheinlich auch. Weil es das doch zu einem gewissen Grad braucht, dass es funkt in gewissen Momenten. Nicht immer und man kann nicht immer auf Wolke 7 schweben, aber wenn man gar nicht mehr auf Wolke 7 schwebt, nie, nicht mal am Sonntag, dann glaube ich, muss man was verändern.

Bei manchen Teilen wusste man gar nicht mehr, was das eigentlich war.

Ja, die Dinge werden sehr abstrakt irgendwo. Das finde ich aber auch so schön. Es gibt ja auch Frauen, die schauen aus, wie in Bonbonpapier gewickelt. Wenn man das dann aber außreißt oder zerreißt im wahrsten Sinne des Wortes, da kommen so geile Sachen raus. Du hast dir ja als Lieblingsbild das Hochzeitskleid rausgesucht. Ich find es auch sehr schön. Man sieht in der Schleppe hängt der Dreck. Die Farbe, dieses weiß, hat sich natürlich total verändert. Mein Lieblingsbild ist der Unterrock. Das ist so ein Tüll-Wahnsinn. Das war wirklich irre viel. Das habe ich natürlich gleich rausgerissen, aber ich finde fotografisch ist es irre schön. Wenn man sich das anschauen und nur dieses Bild sehen würde, würde man sich denken, würde man wahrscheinlich nie auf die Idee kommen, es ist der Unterrock eines Hochzeitskleides.

Erzähl doch mal die Geschichte von dem Hochzeitskleid, weil die war super!

Hochzeitsgewand ist ja echt wahnsinnig teuer. Ich habe dann auf zwei Gebrauchtbörsenportalen, also einem in Deutschland und einem in Österreich, angefangen zu suchen. Ich hatte natürlich dabei gewisse Hintergedanken. Zum Einen hatte ich finanzielle Hintergedanken. Ich wollte pro Kleidungsstück nicht über 100 € ausgeben. Ich wollte dann aber auch nicht jeden Müll nehmen. Manches schaut für mich so aus, als wäre man die laufende Hochzeitstorte und so wollte ich auch nicht ausschauen – alles aus Puffärmeln und ausufernden Maschen. Diese Dame, von der ich das Kleid gekauft habe, war total sympathisch, richtig süß. Wir haben dann so ein bisschen geschrieben und sie hat mir dann erzählt, dass sie dieses Kleid von einer Südamerikareise hat, als sie mit einer Schneiderin ins Plaudern gekommen ist und halt irgendwie diese Kleider von der gesehen hat und sich gedacht hat: „Wahnsinn! Irgendwann werde ich doch heiraten und dieses Kleid ist doch so schön. Ich lasse mir das auf den Leib schneidern.“ Dann hat sie das sich machen lassen und glaube ich auch zu einem guten in Preis und es war für sie irgendwie ... Ja, das hat halt irgendwie dort schön reingepasst in das, was sie sich so erhofft und erträumt hat. Sie hat mir dann nicht geschrieben, ob sie denn mal geheiratet hat, in einem anderen Kleid oder irgendwie. Sie meinte, das passt ihr irgendwie nicht mehr so richtig. Das ist es nicht mehr und deshalb verkauft sie das. Ich fand es ziemlich schön dann in diesem in diesem Kleid, auch wenn ich dann nicht geheiratet habe in diesem Kleid.

Es war ein Hochzeitskleid, in dem nie jemand geheiratet hat, das aber maßgeschneidert war auf die Aktion.

Ich finde, es ist ein hübsches Kleid. Ich wollte gerne eine lange Schleppe und dass es ein bisschen Schnickschnack hat, aber nicht zu viel. Auf jeden Fall ist das diese Geschichte von dem Kleid.

Mir gefiel die Idee davon den Rahmen der Traumhochzeit zu sprengen, oder aus diesem Raster rauszufallen. Das hatten wir beim ersten Abend im Salon Gospodin auch. Beim ersten Abend hatten wir mit einem Raster zu tun und einem Abfallprodukt – ein kleines Ferkel, das wahrscheinlich kurz nach der Geburt schon gestorben ist. Es wurde in der Position, in der es gestorben ist, abgegossen in Silikon und auf ein Raster drapiert aufgestellt bei mir im Lichtschacht. Ihr habt ja auch dieses Raster durchbrochen, indem mir zwar genau von diesem Traum ausgegangen seid, aber ihr habt dann was anderes damit gemacht. Mein Lichtschacht zeichnet sich ja nicht nur dadurch aus, dass es 4 x 3 Meter sind, wo es diese fünf Stockwerke hoch geht, sondern oben hat man ja wie so ein Raster dieses Gitter, wo man durchschaut. Das heißt, zumindest jetzt in den ersten beiden Arbeiten hat man das gleich wiedergefunden. Du hattest ja auch erst überlegt, ob du quasi dieses Kleid wieder in einen Rahmen hineinsetzt. Was ich auch toll fand war die Idee sich auf diese Wanderung zu begeben, nicht nur intellektuell, sondern indem ihr es wirklich tut.

Ich glaube, im Kopf kann man das nicht machen. Natürlich hat auch diese Wanderung real nichts damit zu tun, ob wir die nächsten 30 Jahre zusammen sein werden, aber es ist ein realer Weg, den man miteinander geht. Das ist es ja, wofür dieser Tag eine Initialzündung ist. Diese Menschen gehen dann einen ganz individuellen Weg, den nur diese zwei Personen miteinander gehen können gemeinsam. Ich glaube, den kann man im Kopf nicht wirklich simulieren. Man kann natürlich Pläne schmieden. Man kann sich Gedanken drüber machen. In Bezug auf dieses Projekt und dieses Experiment kann man das nur wirklich machen.

Meine Beobachtung war, dass wenn man deine Arbeit sieht man anfängt sich selber imaginativ auf diese Wanderung zu begeben. Sei es, dass man sich vorstellt mit seinem Partner den man jetzt hat, mit dem Partner, den man sich erträumt, dem Partner, wo man denkt: ja, mit dem hätte ich gedacht, aber doch nicht. Ich glaube, das ist der Grund, warum diese Arbeit nicht nur Raum, sondern auch Zeit braucht für eine Auseinandersetzung. Weil das erstmal stattfinden muss im Kopf. Sonst bleibt es nur intellektuell. Wenn man die Zeit hat dafür und wenn man das Gefühl hat, man kann das jetzt auch so zulassen, dann ist, glaube ich, genau das passiert, dass man angefangen hat diese Wanderung selber im Kopf nachzuvollziehen. Dass man sich aber seine eigene Wanderung angefangen hat auszumalen, eben nicht nur dieses Fest. Dadurch, dass du wirklich gewandert bist, hat es überhaupt nichts Wertendes. Du hast einfach diese Wanderung unternommen. Das ist Realität. Die imagination, die dann da bleibt, dieses kreative Moment, das im Betrachter ausgelöst wird, ist, dass man anfängt sich zu fragen: wie wäre denn meine Wanderung? Das ist etwas Anderes, als Zukunftsplanung.

Es ist und das soll es auch sein, losgelöst von einer persönlichen Beziehungsebene. Es bewegt sich einfach auf einer allgemeineren Ebene. Das ist ja auch das, wodurch es überhaupt erst andere Leute ansprechen kann. Wenn ich mir jemandes reale Hochzeitsbilder anschaue, dann berührt mich das, oder läst mich halt komplett kalt, oder ich denke mir „ Oh Gott, was für ein schlechter Fotograf!“. Die Emotionen gilt diesen Bildern, oder diesen Personen, aber es hat oftmals nichts mit mir zu tun. Wenn ich im Supermarkt bin und da ist die Bunte und da ist die Hochzeit von Prinz William, das berührt mich nicht persönlich, oder lässt mich nicht darüber reflektieren, was Beziehungen können und was Erwartungen an Beziehungen sind und wie gesellschaftliche Erwartungshaltungen sind. Hochzeit ist einfach ein wahnsinnig aufgeladenes Thema, auch wie das nach wie vor an eine Mann-Frau-Beziehung geknüpft ist. Eigentlich könnte man sagen, man könnte da längst viel weiter sein im Denken, viel näher an der Realität und man ist es einfach nicht, politisch und gesellschaftlich gesehen. Das Thema lässt niemanden kalt. Das ist ein aufgeladenes Thema und teilweise auch wirklich zurecht, weil einfach Menschen diskriminiert werden, weil andere Leute privilegiert werden. Da spielt so viel mit rein, von dem ich ja auch, das muss ich ganz ehrlich sagen, sicher nicht alles durchblicke. Ich glaube, es ist immer ein interessantes und ein sehr relevantes und eigentlich ein sehr politisches Thema. Nicht, dass ich jetzt diese Arbeit unbedingt eine politische Ecke rücken möchte. Das muss jetzt auch gar nicht sein. Das braucht sie auch nicht, aber das kann sie sein.

Ihr habt auch Grenzen untersucht.

Es ist ja immer so, wenn Menschen ein Bild anschauen: dieses Bild kann ja immer nur eine ganz persönliche, ganz individuelle Rezeption und Perzeption auslösen. Je nachdem, was der Mensch, der dieses Bild sieht, erfahren hat in seinem Leben, löst es an dem Punkt was aus und bewegt etwas. Auch da kann ich nur noch mal darauf zurückkommen, dass es mir gerade deshalb wichtig war, dass eben just sehr nüchtern zu halten uns sehr nicht bewertend zuhalten, nicht glorifizieren, nicht verdammen. Ich glaube, dass so das größte Potential da ist, um möglichst viele Wahrnehmungen und zuzulassen und einen weiten Raum aufzumachen, einen Diskussionsraum zu öffnen, einen Gesprächsraum zu eröffnen.

 

 

 

 

Ich habe die für meine künstlerische Forschung wesentlichen Passagen des Gesprächs als Text zum Nachlesen aufbereitet.

Gespräch zwischen Mary Gold und Nina Gospodin: "Aus dem Dialog mit Mary Gold", Nina Gospodin (Hrsg.), aufgenommen am 30.09.2017, Zuerst publiziert am 07.01.2018 auf www.dusagst.es

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