Mit:
Ingo Nussbaumer . Nina Gospodin
Aufgenommen am 08.05.2016 | Zuerst publiziert am 04.08.2016 auf www.dusagst.es
Im Folgenden findest du meine Lieblingspassagen aus dem Gespräch. Die Transkription wurde zum Teil gekürzt und zusammengefasst, um die Lesbarkeit zu verbessern.
Ich habe mich so gefreut als ich dich an der Uni gehört habe. Ich dachte so: Ah, schon seit der Antike redet man davon! Weil ich halt diesen Konflikt mit dem Tun hatte.
Weil ich so dachte: das kann doch nicht sein, dass ich so starke Diskrepanzen habe zwischen dem, was ich denke und was ich will und dem, was dann ist. Mittlerweile
weiß ich das sehr zu schätzen und bin immer total gespannt.
Die Diskrepanz, die kenne ich natürlich auch - zwischen, ich sage mal: Kopf und Bauch. Der entscheidende Punkt ist, glaube ich, dass man sich innerhalb der Kunst manchmal auch von Dingen leiten lässt. Dazu gehört eben meines Erachtens die Wahrnehmung. Wobei die Wahrnehmung jetzt ein sehr umfassendes Feld ist. Es gibt ja unterschiedliche Wahrnehmungsebenen, könnte man sagen. Es gibt zum Beispiel die rein sinnliche Wahrnehmung. Da hat man mit sinnlichen Qualitäten zu tun. Da wäre die Farbe weiß, rot, blau und so weiter. Aber es gibt natürlich auch Gemütswahrnehmungen, die schon mit einem selber sehr viel zu tun haben, weil da bin ja ich im gewissen Sinne das Objekt der Wahrnehmung.
Welche Empfindungen ich bei einer weißen Farbe habe oder bei einer roten Farbe habe. Wenn ich da eine Empfindung habe, wenn ich ein Gefühl dabei entwickle, wenn ich sogar eine Begeisterung dafür entwickeln kann oder drinnen plötzlich sogar noch eine riesige Dimension sehen anfange, dann ist das natürlich eine innere Wahrnehmung. Das heißt, da komme ich schon auf eine ganz andere Ebenen und diese Ebene kann sich sogar bis zu einer ideellen Wahrnehmung steigern. Wenn man das jetzt von der Sinnlichkeit zur Idee mal als Steigerung andenkt: eine Idee ist auch etwas was man wahrnehmen kann. Jetzt könnte man sich natürlich die Frage stellen, was zeichnet denn so eine Ideenwahrnehmung aus vor anderen Wahrnehmungen? Ich verwende gerne zur Erläuterung den Ausdruck
Bildidee. Das besondere an der Bildidee: man hat sie oder hat sie nicht. Da gibt es nur diese zwei Möglichkeiten, aber wenn man sie hat, dann tritt ein besonderes Phänomen in Erscheinung. Zumindest fällt mir das immer wieder auf. Erstens mal, dass man gleich weiß, dass es eine Idee ist. Das heißt, die Wahrnehmung einer Idee liefert sozusagen mit, dass es sich um eine Idee handelt. Und zweitens, die Idee ist immer mit einer Lösung ausgestattet. Das heißt, wenn ich eine Bildidee habe, dann habe ich so etwas wie eine Lösung eines Bildes. Das kennzeichnet jetzt, ich sage mal, die Wahrnehmung einer Bildidee von anderen Wahrnehmungen. Wenn man bloß ein Konzept im üblichen Sprachsinne hat, hat man nicht notwendigerweise eine Lösung. Man entwirft irgendetwas, baut sich ein Konzept, aber man weiß noch nicht, wie es wirklich funktioniert. Bei der Idee kriegt man die Funktion, diese Bildfunktion schon mitgeliefert. Das ist etwas Besonderes.
Um das zu erläutern, schildere ich gerne ein mythologisches Beispiel. Es gibt in der Mythologie tatsächlich ein Bild dafür. Das ist die Geburt der Athene. Sie wird aus dem Haupte des Zeus geboren. Das ist ein schönes Bild, finde ich. Der Hephaistos ist der Hilfsdiener, der bei der Geburt hilft. Die Hebamme, könnte man in einem gewissen Sinne sagen. Er schlägt dem Zeus das Haupt entzwei und aus diesem Haupt entspringt die Athene in voller Rüstung. Und das ist der eigentliche Punkt. Warum hat sie die Rüstung bereits
an? Sie ist eine Kriegsgöttin, ja. Aber sie ist schon gewappnet gegen Einwände, könnte man jetzt bildlich formulieren. Das heißt, sie hat schon die Mittel in der Hand, um sich wehren zu können, um sich entsprechend darstellen zu können.
Genauso funktioniert im Grunde genommen eine Bildidee. Die hat die Waffen, wie sich diese Idee wehren muss, schon quasi in der Hand. Sie hat schon das Geschmiedete in der Hand. Die Bildidee weiß, bildlich gesprochen, wie sie funktioniert. Und das Interessante, was ich ja mache, ich teste dann immer diese Idee. Das ist so meine typische Art mit Dingen umzugehen. Ich skizziere diese Idee, ich zeichne sie auf, ich manifestiere sie in einer Skizze und mache dann so etwas wie einen Testlauf. Das heißt, ich beginne sie zu variieren, durchzuspielen nach verschiedenen Varianten. Interessanterweise, der Kern dieser Idee erhält sich immer wieder. Das heißt, sie birgt in sich tatsächlich schon die Lösung und das ist das Besondere an einer Idee. Das heißt, wie das Bild aufgebaut ist, wie es in einzelnen Teilen im Groben funktioniert. Wie es im Groben, vielleicht nicht im Detail, nicht in der Feinheit funktioniert, aber im Groben funktioniert, wird quasi mitgeliefert mit dieser Idee. Das nimmt man wahr, weil das tatsächlich ein Erlebnis ist. Das ist nicht nur irgendetwas Ausgedachtes. Das ist ein Erlebnis und es leuchtet einem auch ein. Dieser einleuchtende Charakter, dieser schlüssige Charakter, der wird sozusagen mitgeliefert.
Ich glaube, das ist auch ein so ein Ding, wo ich dachte: ich habe so viele Ideen, und ich muss die irgendwie loswerden. Wo kann ich das tun?
Nein, es ist nicht selbstverständlich, ganz genau. Der Testlauf ist auch so ein bisschen die Überprüfung dieser Idee. Ich teste. Das heißt, ich habe eine These geboren und jetzt schaue ich, ob diese These, ob diese Hypothese auch tatsächlich funktioniert. Ob sie Stand hält oder ob das nur eine Chimäre, ein Trugbild ist. Weil man kann natürlich auch einer Chimäre aufsitzen. Das ist keine Frage. Aber in der Kunst ist das spielerisch
möglich. Das ist vielleicht das besondere an der Kunst, dass man da spielerischer umgehen kann als vielleicht in der Wissenschaft.
Es geht da ja auch darum, dass man im Tun überprüft, ob diese Idee sich entsprechend auch manifestieren kann und ob sie sich quasi sowas wie bewahrheitet. Und das ist das Verblüffende, dass man eben dann auch von
einem Wahrheitsbegriff zum Beispiel in der Malerei sprechen kann, ohne dass man jetzt Wahrheit als Absolutistisches oder für immer fix Feststehendes festmacht. Eine Idee muss sich bewähren können und muss auch etwas Gültiges in diesem Sinne haben, sonst wird sie verworfen.
Wenn man etwas Künstlerisches macht, dann sind das oft so kleine Schritte, also nicht immer, aber manchmal
so Sachen, die einem auffallen: Beobachtungen, Ideen. Man arbeitet dran, aber irgendwie gehört ja auch schon
noch ein bisschen Mut dazu, das auch zu vertreten. Wie hast du das so wahrgenommen?
Das ist richtig. Man braucht den Mut was zu vertreten, vor allem wenn es um etwas Neues geht. Oder wenn es um etwas geht, was die anderen zunächst gar nicht gut finden. Ich würde sagen, das gehört zur künstlerischen Laufbahn irgendwie dazu. Man macht sicher vieles, was
am Anfang andere überhaupt nicht interessant finden oder überhaupt nicht gut finden oder was überhaupt noch nicht verstanden wird. Ich glaube, in der Kunst wird man dazu auch ein bisschen aufgefordert auf das zu hören, was in einem drinnen steckt und was man sich
selber sagt. Ich muss ständig mit mir Rücksprache halten und deswegen rücke ich auch als Person stärker in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Ich wollte noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen. Du hast Malerei studiert und dann Philosophie und hast dann sehr bewusst die Entscheidung getroffen und gesagt: „So! Jetzt gehe ich es an, jetzt werde ich praktizierender Künstler.“ Das fand ich total interessant.
Wie ich da in Salzburg Philosophie studiert habe, habe ich gemerkt, dass irgendwie die Philosophie nicht mein Feld ist, wo ich mich beruflich hinbewegen möchte. Was mir aufgefallen ist: die Philosophen haben sich meist ein unglaublich tolles Begriffsgerüst erarbeitetet, über viele Jahre und aus der Auseinandersetzung mit diesen vielen Begriffen. Mir ist aufgefallen, dass die sich wahnsinnig schwertun, dass die überhaupt gar nicht begreifen, was im Aktuellen passiert. Das gilt jetzt nicht für den einen oder anderen, die Ausnahmen bilden. Also das heißt, die Philosophen hinken dem Aktuellen nach, dem Zeitgenössischen nach. Und das habe ich immer als einen gewissen Makel empfunden oder als ein Manko. Ich finde, das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung.
Um Kunst wirklich ganz verstehen zu können, muss man tatsächlich in diesem Aktuellen, in diesem Zeitgeschehen drin sein und die Eroberung seiner eigenen Zeit. Vielleicht sogar noch die Eroberung von etwas, was über die eigene Zeit in die Zukunft hinausgeht. Das ist für die Kunst, glaube ich, ein entscheidender Punkt. Und deswegen spreizt sich das vielleicht manchmal gerade so, die Theorie oder die Philosophie und die Kunst. Weil auf der einen Seite muss man sozusagen eigentlich in der Zeit und über die Zeit hinaus in die Zukunft hin schauen, während die Philosophie sehr oft in die Vergangenheit schaut, wie manches abgelaufen ist und wie man manches verbessern kann oder wie man manches zum Begriff bringen kann.
Jetzt könnte man sagen der Begriff ist etwas, was sozusagen im gewissen Sinne diesen lebendigen Prozess schon zum Erlahmen gebracht hat, weil man ja etwas konkretisiert hat. Und alles, was man sich ein bisschen konkretisiert hat, klar gemacht hat, ist schon ein
bisschen auch vorbei. Das was man sich noch nicht ganz klar machen kann, ist eben was in der Zeit passiert. Und das ist auch dieses Spannende, dass sozusagen da etwas hineinströmt, gerade in das Aktuelle, in das Zeitgemäße, in das Zeitgenössische, sage ich jetzt mal, was man eben nicht mit Begriffen alleine ausreichend erfassen kann, was man sozusagen nur aus einem Tun heraus ein bisschen andeuten kann. Und wenn man Glück hat, aus dem Tun heraus tatsächlich auch manifest macht, ohne dass man es begreift.
Das ist nämlich dieses Verblüffende an der ganzen Geschichte. Die Kunst selber oder das Gebiet der Kunst oder die Produktion der Kunst lässt sich nicht vollkommen begrifflich durchleuchten, weil immer Restbestände und ich würde sagen, der größte Teil ist sogar so, dass es sich entzieht. Und aus diesem Entzug heraus entsteht natürlich eine Art Motivation da näher einzudringen, auch begrifflich natürlich näher einzudringen. Aber manche Künstler machen das vielleicht ganz anders, die dringen eben nicht begrifflich in das ein, sondern die dringen über das Tun in das ein. Und das Tun kann auch so etwas wie ein Begreifen werden, indem es sozusagen durch das Tun konkret wird und anschaubar wird. Das ist ja vielleicht das Besondere, auch in der Kunst, dass manche Dinge anschaubar werden, also konkret anschaubar werden, sichtbar werden und das ist eigentlich auch so etwas wie einen Begriff schaffen. Aber das ist eben ein Begriff, der sich sozusagen vor den Augen auslebt.
Es gibt ja vom Goethe diesen Begriff des gegenständlichen Denkens. Den zwar nicht er erfunden hat, ich weiß jetzt nicht von wem er genau stammt. Auf jeden Fall nimmt er den gleich in Beschlag, weil dieser Begriff das sehr gut ausdrückt, dass er eben mit den
Dingen denkt. Dort, wo sonst Worte oder Begriffe die Rolle spielen, dass hier die Dinge an diese Stelle treten. Das soll dieser Ausdruck gegenständliches Denken sozusagen ansprechen und das denke ich, ist wiederum etwas, was sehr typisch künstlerisch ist.
Weil eben die Künstler mit den Dingen denken und fragen, was die Dinge selber sagen. Und dieses Sagen der Dinge, sei es jetzt die Farbe oder das Glas, das hier auf dem Tisch steht: ich kann es ja jetzt bewusst in Beziehung setzen. Ich kann diese Gegenstände in eine Beziehung bringen und da beginnen die Dinge zu sprechen und das muss man anschauen. Weil das kann man nicht mehr schildern. Weil das Schildern schafft es nicht, diese Dinge genau zu sagen. Ich müsste so kompliziert werden. Darum ist auch ein Bild manchmal einem Wort oder einer Erzählung haushoch überlegen, weil ich es mit einem Mal sagen kann, während ich sonst Urkompliziertes beschreiben muss. Der Vorteil des Begreifens über das Tun, über das Hantieren, über das Handeln, ist eben der Kunst typisch. Das ist auch ein Teil dieses poetischen Kunstbegriffes. Und das ist der Vorteil.
Das sind wir als Künstler oder Künstlerinnen gewohnt, während die Philosophen und Philosophinnen es nur mit Worten und Begriffen in erster Linie zu tun haben und so quasi das Begreifen, das gegenständliche Denken eher zurückstecken. Was einen gewissen Vorteil bringt, aber auch einen gewissen Nachteil schafft.
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