Ein Austausch mit dem Maler Thomas Reinhold über unsere Herangehensweisen in der Kunst

Thomas Reinhold und Nina Gospodin gemeinsam im Atelier beim Prater in Wien für die Podcast Aufnahme

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Aus dem Dialog mit Thomas Reinhold

Ich sitze heute mit dem Maler und Künstler Thomas Reinhold in Wien, in der Nähe vom Prater, oben im Dachgeschoss von einem Altbau in seinem Atelier gemeinsam bei einem belgischen Bier. Wir sind in einem großen Raum mit einer ganz hohen Decke, in dem große Gemälde vom Thomas stehen. Er benutzt total schöne Farben und hat ein eigenes Verfahren entwickelt. Ich bin heute da, weil ich mich mehr mit dir darüber unterhalten möchte, welche Methode du dir aufgebaut hast und wie du überhaupt zur Kunst gekommen bist. Was ich jetzt noch gar nicht so genau weiß ist, wie du eigentlich zur Kunst gekommen bist. Wie ging denn das los? Wo kommt deine Leidenschaft her? Du bist ja leidenschaftlicher Maler.

Sicher hat es bereits in meiner Kindheit begonnen. Ich habe gern Tee mit Milch getrunken. Da war ich noch sehr klein. Oberhalb des Tisches war so eine Lampe angebracht und wenn ich den Tee umgerührt habe mit dem Löffel, dann entstand so ein Flimmern und das habe ich geliebt. Es hat mich inspiriert und auch interessiert, wie das entsteht. Es waren im Prinzip so filmische Abläufe, die da entstanden sind. Ich habe mir damals gedacht, dass das eine interessante Sache ist und dass ich mich mit sowas beschäftigen will, später mal.

Gab es bestimmte Fragestellungen, die dich immer wieder gebannt haben?

Das Infragestellen der herkömmlichen Wahrnehmung zum Beispiel. Das zeitliche Kontinuum, die sogenannte vergehende Zeit etwa. Ich habe Zeit immer als etwas viel Komplexeres empfunden, wo in der Gegenwart durchaus auch Zukünftiges auftreten kann, oder natürlich Vergangenes ist und so weiter. Auch die perspektivischen Raumdarstellungen. Diese Darstellungen sind zwar sehr praktisch, weil sich jeder hineinversetzen kann in diese Räume. Sie sind auch in einer tollen Zeit entstanden, in der Renaissance. Jeder kannte sich aus in diesen Räumen, was ja auch demokratisch ist. Das ist ein guter Ansatz. Aber wenn das dann in der Kunst ständig wiederholt wird, dann wird das langweilig. Also, das sind dann langweilige Räume.

Das wird so formal, oder?

Es werden eben schön dort drinnen Figuren und Gegenstände verteilt, wie auf einer Bühne, oder so. Das wird mit der Zeit langweilig und das habe ich schon sehr früh in Frage gestellt. Schon als Kind, weil der kindliche Raum ist ein ganz anderer als dieser „Renaissance-Raum“. Es hat ja viel mehr mit dem Erlebten zu tun und auch mit der Bewegung im Raum. Der Renaissance-Raum ist ja statisch, der hat ja keine Bewegung nachzuvollziehen. Vor etwa hundert Jahren hat man radikal überlegt, was es noch für andere Raumdarstellungen gibt, wo auch die Bewegung in den Räumen eine Rolle spielt.
Sowohl die Futuristen als auch die russischen Revolutionskünstler wie Rodtschenko. Ungewohnte Perspektiven, auch mit den damals neuen Möglichkeiten im Kino mit ihren Optiken und so weiter. Das hat mich dann erinnert an meine Wahrnehmung als Kind, was mir als Kind gefehlt hat in der bildlichen Darstellung von Raum.


Du hast mir mal erzählt, dass du im Kunststudium in unterschiedlichen Medien gearbeitet hast und dich später erst auf Malerei fokussiert hast, oder?

Ja, mich hat das damals einfach interessiert auch mit Fotografie und Video zu arbeiten. Ich arbeite heute zwischendurch immer wieder auch mit Fotografie. Das da hinter dir, das ist vor zehn Jahren in Shanghai entstanden. Es ist eine Arbeit mit Fotografie und Tusche. Die sind mit langer Belichtungszeit und Bewegung entstanden. Was mich dabei interessiert hat ist, dass ganz ähnliche Verläufe entstanden sind, wie geschüttete Farbe. Du siehst ja ganz ähnliche Strukturen in meiner Malerei. Die sind alle in der Nacht entstanden und ich habe farbiges Licht gesucht, was natürlich nicht schwierig ist in Shanghai. Diese Tusche-Malerei, die habe ich untertags gemacht. Erst als ich zurück war, habe ich es dann kombiniert. Manchmal sind eine Tusche-Malerei und ein Foto kombiniert, manchmal zwei Fotos und so weiter. Das Material war unendlich.

Ich habe nicht gewusst, dass das Thema Räumlichkeit und Bewegung dich so lange schon begleitet hat.

Es ist ja auch so, dass die Dinge ja gleichzeitig passieren und nicht unbedingt im Nacheinander. Wir tun uns natürlich leichter eines nach dem anderen zu erleben, weil es sonst zu viel wäre. Alles zugleich zu erleben, wäre nicht erträglich.

Hat man manchmal, wenn man zu viele Drogen nimmt.

Apropos, das war sicherlich die psychedelische Zeit in den 1960er Jahren, die sehr viel zu einer neuen Sichtweise des Raum-Zeit-Kontinuums beigetragen hat. Das war ähnlich wie der Futurismus und die russischen Revolutionskünstler - eine neue Raumerfahrung. Die hat sich natürlich dann auch in den 1960er Jahren in den Künsten niedergeschlagen. Henri Michaux zum Beispiel, der etwas unglaublich Filmisches hat, wo es Abläufe gibt, die aber im Nebeneinander dargestellt sind. Bewegung, die detailliert nebeneinander dargestellt ist, so als würdest du dir einen analogen Film anschauen, nebeneinander. Ich meine jetzt den Filmstreifen.

Dass man verschiedene Sequenzen nebeneinander zeigt. Das hat viel mit Erfahrung und Wahrnehmung zu tun, mit Erleben.

Na klar, die Wahrnehmung ist ja das, was die Kunst ausmacht. Die Wahrnehmung der Betrachterinnen und Betrachter ist das was die Kunst ausmacht. Das, was zu sehen ist, ist ja eigentlich nur ein Bruchstück. Die Kunst passiert in den Köpfen der Leute, die das benutzen und auf sich wirken lassen.

Es gibt doch manchmal so entscheidende Momente im Leben, wo man merkt, man kommt der Sache näher oder man ist auf einer Spur. Gab es da sowas bei dir? Gab es bestimmte Weggabelungen, oder ist bei dir alle mehr organisch ineinander geflossen?

Es ist eher organisch ineinander geflossen. Es gab keinen Schlüsselmoment. Schlüsselmomente sind eher die, wenn du siehst, wie das was du machst ankommt bei den Menschen. Es geht letzten Endes doch nur um Kommunikation.  Als Kind siehst du, das gefällt deiner Mutter oder anderen Kindern. Sowas prägt schon. Ein Schlüsselmoment ist vielleicht schon das, wenn du siehst, dass das was du machst ankommt bei jemand anderem. Dass es jemand anderem gefällt, jetzt im landläufigen Sinn. Wobei das Gefallen eher in die Richtung geht, dass jemand was damit anfangen kann. Der Moment der Kommunikation; ich habe einfach gemerkt, dass ich über meine bildnerischen Produkte kommunizieren kann. Das war schon so eine Art Schlüsselmoment.

Ich habe vorher ein technisches Studium gemacht. Es wird ja viel von „transdisziplinär“ geredet. Tatsächlich andere Herangehensweisen, die andere Perspektive, die ich hatte, dieandere Art und Weise, wie ich mich Dingen nähere, sie vielleicht auch bearbeite, zuzulassen. Also, da hatte ich oft das Gefühl, dass das keinen Platz hat und dass es ganz schwierig ist, wirklich diese Disziplinen zusammenzubringen von innen heraus. Nicht, wie wenn ich in so einem interdisziplinären Team bin, wo man dann eben jedem einen Auftrag gibt, sondern wirklich so von innen heraus. Ganz langsam wächst das erst in meine künstlerische Praxis hinein, so dass ich mehr einbringen kann von diesem vielseitigen Hintergrund von mir. Ich habe ja zum Beispiel eine Schablonentechnik entwickelt und mir ist aufgefallen, dass ganz viele Kolleginnen und Kollegen total logisch natürlich meine Schablonen sehen, diese sind zum Teil auch relativ groß und die sagen: ja, die machst du sicher, um damit was zu bauen, um Räume zu schaffen, wo man sich durch bewegen kann. Nur logisch, oder? Ich kann mir dann manchmal so vor, als würde ich irgendwas falsch machen, weil ich mache immer voll stur ein Bild nach dem anderen. Ja, weil ich die ganze Zeit eine Versuchsreihe mache. Im Prinzip kann ich eine Vergleichssituation erzeugen, weil ich wieder andere Konstellationen erzeugen kann, oder Bedingungen erzeugen kann. Als da eben von meinen Kolleginnen dieser Drang da war, etwas aufzubauen damit, diese Schablonen zu nutzen, um Konstruktionsmaterial zu schaffen, ist mir dann klar geworden, dass ich überhaupt nicht so daran gegangen bin. Ich mache das halt, um Versuchsreihen zu machen, wo ich dann vielleicht skaliere, oder so. Das werde ich ja sehen. Manchmal komme ich auch erst voll spät dahinter, dass ich einfach auf die Dinge anders blicke, manchmal.

Ja, es ist schon so, dass man manchmal auch etwas automatisch richtig macht und man weiß erst viel später, dass es richtig war.

Ist dir mal passiert, dass du eigentlich schon Dinge angefangen hast zu tun, wo du später erst gemerkt hast, das war gar nicht mal so doof?

Ja, schon.  Bei der Überschreitung von Grenzen, die man sich selbst setzt auf dem Format, einerseits diese Grenzen einzuhalten und andererseits sie zu überschreiten. Ich habe sozusagen Proportionsstudien betrieben.
Du sagst, du hast Versuchsreihen gemacht. Das erinnert mich daran. Irgendwie muss man ja beginnen, wenn du die leere Leinwand, die grundierte Leinwand vor dir hast. Da habe ich Proportionsstudien gemacht. Da habe ich Teilungen mit Kohle angerissen. Ich habe Farbe geschüttet und längs dieser angerissen Kohle-Linien die Farbe geschoben mit den Händen. Das hat so einen gewissen Streifeneffekt erzeugt. Das habe ich aber dann alles übermalt und da ist nichts mehr über geblieben von dem darunter, aber es war wichtig als Ausgangspunkt. Heute mache ich ausschließlich das, was früher drunter war.

Ach Quatsch! Das war quasi die Unterhose deiner Gemälde. Du hast das früher also gemacht, um abzuchecken, wie du das Bild einteilst? So bist du darauf gekommen?

Ja. Früher bin ich dann völlig amorph da drüber gegangen. Es entstand aber dadurch, dass diese straighten Teilungen darunter waren eine ungewöhnliche Räumlichkeit. Das hat mich schon interessiert daran. Aber das darunter verschwand völlig. Ich bin dann all-over darüber gegangen, mit breitem Pinsel und Spachtel. Manchmal auch ziemlich dick. Und dann gab es auch eine Phase, da habe ich als Zwischenschicht gegenständliche und figurative Dinge dazwischen gesetzt. Die habe ich dann mit flüssiger Farbe überarbeitet, aber immer durchschimmern lassen. Die Betrachterinnen und Betrachter haben das dann mit den Augen ausgegraben, wie ein Archäologe. Sie haben gegenständliche Schichten ausgegraben. Sie hatten so einen Anhaltspunkt, das war sehr psychologisch gedacht. Sie hatten dann einen Anhaltspunkt zu einem Aha-Erlebnis und haben dann begonnen sich für die Malerei - für die malerische Struktur - zu interessieren, die dann überlagert war. Wie soll ich sagen, es war eine psychologische Zwischenphase. Dann habe ich das aber weggelassen, diese Eselsbrücke.

Du bist dann direkt auf die Struktur gegangen?

Aber was mich tatsächlich daran interessiert hat, sind einfach diese Überlagerungen, die eine ungewöhnliche Räumlichkeit erzeugen.

Interessant, wie sich das entwickelt hat, wie du die Dinge auch wieder weggelassen hast, oder etwas dazwischengeschoben hast.

Das ist ständig in Bewegung. Dann lagere ich etwas dazwischen und dann lasse ich das weg. Es ist schon eine unermüdliche Beschäftigung mit dem malerischen Raum. Also, das Prozessuale, das sind die Überlagerungen natürlich: wo eines nach dem anderen geschieht in der Malerei und die Betrachterin und der Betrachter sehen das dann in einem Augenblick. Es kommt in einem Augenblick alles auf sie zu, all die vergangene Zeit sozusagen, in der das entstanden ist. Das macht die Malerei aus, dass die Zeit zum Raum wird in einem einzigen Augenblick. Und im besten Fall ist es so, dass das Gemalte die Betrachter dann eigentlich nicht mehr loslässt und sie es gerne noch einmal und noch einmal anschauen.

Dass sie Zeit damit verbringen.

Im besten Fall ist es so, dass sie dann nach Jahren ein und die gleiche Malerei mit anderen Augen wiedersehen.

Das sind aber schöne Gedanken zur Malerei. Ich musste in letzter Zeit wieder oft an den Taylorismus denken. Ich glaube der Titel des Buches, wo Taylor sein Konzept vorgestellt hat, war „Scientific Management“. Vorher hat man nur mit Schätzungen gearbeitet und es ging darum, Prozessabläufe zu strukturieren und zu koordinieren. Man hat dann mit Schätzungen gearbeitet. Er war nämlich der erste, der wirklich Zeiten gemessen hat. Wie lange dauert eine bestimmte Tätigkeit? Er hat dann auch diese Unterscheidung gemacht in Management und Ausführung, Arbeiterinnen und Arbeiter. Er hat auf jeden Fall das Management auch eingeführt, eben Menschen, die Arbeitsprozesse planen. Und dann gibt es welche, die sie durchführen. Es geht um Organisationen. Er trifft eine wichtige Unterscheidung in Aufbauorganisation, Hierarchien, und Ablauforganisation, also was wird getan, welche Abläufe sind zu gestalten. Aufbau betrifft eben von wem Aufgaben durchgeführt werden. Ich finde dieses Thema spannend. Zu überlegen, wie unterscheiden sich eigentlich Herangehensweisen und Prozesse, die einerseits von Funktion getrieben sind. Da macht es ja total Sinn zu fragen, wie lange dauert etwas. Ich nehme halt das, was am effizientesten funktioniert: Leistung ist Arbeit pro Zeit. Das heißt, wo kann ich am schnellsten etwas Bestimmtes durchführen oder herstellen? Bei dir finde ich dieses total freie Erleben toll. Letztendlich machen wir, glaube ich, ganz ähnliche Sachen. Du setzt eine Farbe auf, setzt eine Spur, schaust sie dir an, befragst auch wieder das Bild, wie es weitergehen könnte und setzt etwas Neues an. Oder hast du vorher schon einen totalen Plan?

Ich habe vorher schon einen strukturellen Plan. Also, es gibt Teilungen und während des Arbeitens mache ich dann oft Skizzen, nur mit Bleistift. Wo ich einfach überlege, wie es weitergehen soll.  Welche Farbe jetzt in eine andere überfliesen soll oder überhaupt, wo jetzt etwas stattfinden soll. Auch im Sinne einer Standortbestimmung.

Ich bin immer noch am Grübeln. Ich fand das echt cool, was du vorher meintest. Wie hast du das gesagt? Spuren, die nacheinander gesetzt werden und dann quasi vom Betrachter oder von der Betrachterin auf einen Schlag wahrgenommen werden.

Ja, ich glaube, dass dieses Phänomen das Typische der Malerei ist und das viel zu wenig beachtet wird.

Meine Wahrnehmung ist jetzt, dass du dir da richtig Freiheit nimmst, diesen Bildraum zu füllen und dir auch Raum nimmst. Du schaffst Raum und nimmst dir Raum, du nimmst dir Zeit und baust schrittweise die Bilder auf, bis sie so sind, wie sie für dich richtig sind. Ein Vergleich, der mir immer in Bezug auf Früher im Kopf herum geht, ist die Beziehung zwischen Funktionen und Freiheit. In der Verfahrenstechnik ging es immer um Automatisierung, um Rationalisierung, darum, Prozesse zu optimieren und effizienter zu machen. Ich habe letztens wieder drüber nachgedacht. Ich bin in den 1980er Jahren geboren und da herrschte eine Stimmung, die ich in etwa so erlebt habe: Ich kann total glücklich sein, dass ich jetzt in dieser Zeit geboren wurde, weil Frauen haben jetzt total viele Möglichkeiten und ich kann jetzt zeigen, dass ich genauso toll bin wie Männer. Natürlich habe ich so ein bisschen die Erwartungen damals erfüllt, etwas Technisches auch studiert und das hat auch für mich gepasst. Ich hätte zwar lieber noch stärker auch Alchemie als Chemie studiert. Es wäre gelogen, wenn ich gesagt hätte, das Studium hat mir keinen Spaß gemacht. Ich habe es wirklich geliebt. Ich habe es voll gemocht. Nur, was ich nicht mochte betraf den Job des Ingenieurs. Den gibt's ja schon sehr lange. Ich hätte dann die Ehre gehabt mich einzufügen und zu zeigen, dass ich das genauso toll kann, wie die Strukturen, die schon da sind. Ich dachte mir: also, wenn ich jetzt schon die Ehre habe in die Welt hinaus zu treten, dann will ich natürlich auch alles mitgestalten und neu gestalten und mir überlegen, wie ich es dann überhaupt haben will. Das war ein Bereich, wo ich dann immer stärker gemerkt habe, das geht ja gar nicht. Weil du bist in der Technik an den Funktionsbegriff gekoppelt. Du bist nicht frei. Ein bisschen zwingt das ja einen. Wie im Taylorismus zwingt man sich ja auch in Abläufe rein. Man schafft Systeme, in denen man auch als Mensch auf einmal zu funktionieren hat. Da habe ich dann irgendwann gemerkt, ich stoße an Grenzen.

Diese Diskrepanz gibt's ja in der Kunst ganz genauso. Einerseits lotest du die Malerei aus und den malerischen Raum und andererseits gibt es den Markt. Es gibt den Kunstmarkt, Auktionsergebnisse und so weiter. Du bist hier auch in einer gewissen Diskrepanz, in einer gewissen Zwickmühle. Gesellschaftliche Erwartungen, Sammler, die mit Auktionsergebnissen in die Galerie kommen und meinen, Kunst hätte quasi nach ähnlichen Kriterien zu funktionieren wie Aktien oder so. Es ist nicht so, dass du dich einfach diesen interessanten Themen der Kunst widmest und damit ist die Sache erledigt.

Nö, die Reibung ist die gleiche. Aber die Antworten, auf Fragen wie: Wie wollen wir eigentlich zusammen leben? Wie gehen wir an Dinge heran? Unter der Annahme, dass ich jetzt die Ehre habe bei den Männern mitzumachen, habe ich für mich gesehen, es reicht mir nicht, mich im reinen Funktionsbegriff aufzuhalten, in diesem Funktionsraum. Ich suche ja. Wenn ich überlege, wie würde ich an Dinge herangehen, dann merke ich, ich muss breiter schauen. Dass ich dabei, während ich das tue, mich Reibung aussetze und Kräften aussetze, damit muss ich umgehen, manchmal geht's besser und manchmal schlechter.

Aber zu vorhin noch, Verfahrenstechnik und die Eingliederung in größere Produktionsprozesse. Das geschieht doch alles im gewissen Sinne im Kollektiv. Da sind doch viele Menschen dran beteiligt. Und im Atelier bist du für dich. Andererseits gibt es aber auch den Artist Entrepreneur, Künstlerinnen und Künstler, die so gut wie alles delegieren. Die arbeiten mit einer ganzen Mannschaft. Es gibt da viele Vergleichsmöglichkeiten. Ist ja lustig, dass du dann anschließend Kunst studiert hast und jetzt auch ausübst. Vom Background finde ich das interessant.

Ja, ich bin Prozess-Spezi.

Das ist etwas ganz Neues, das ich da kennenlerne.

Jetzt weiß ich wieder, was ich vorhin sagen wollte. Und zwar habe ich letztens in einem Vortrag gehört, Kunst kann Potenziale aufzeigen für Veränderung. Da ging's um soziale Veränderung, aber es kann natürlich auch in einer Wahrnehmung sein.

Das ist lustig. Da kommen wir eigentlich wieder zu den Russischen Revolutionskünstlern. Rodtschenko, der ja der Auffassung war, dass eine neue Gesellschaft, eine Utopie einer neuen Gesellschaft auch eine neue Raumauffassung braucht. Wenn ein neues Modell des Zusammenlebens hier geschaffen werden soll, dann sollten sich die Künstlerinnen und Künstler auch um neue Darstellungsmöglichkeiten in der Malerei und im Film bemühen. So entstanden sowohl bei den russischen Künstlern als auch im Futurismus ganz neue Raummodelle.

Das hat dich ja auch inspiriert.

Ja, die neueste Serie namens „Rod“ bezieht sich auf Rodtschenko. Es gibt so Medienphilosophen, die leider quasi darwinistisch Vorgehen. Die meinen, dass die neuesten Informationsmedien zugleich und automatisch die besten Kunstmedien sind. Die neuen Informationen sind natürlich fantastisch und auch fantastisch einzusetzen, aber sie sind nicht qualitativ besser als all die anderen Medien, die den Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung stehen. Sie sind sehr hilfreich, aber das ist schon alles.

Meinst du, weil du dich für Malerei entschieden hast und sie den Menschen ja schon lange begleitet?

Also, ich meine, dass die Malerei ein Grundmedium ist.

Ich sehe das auch so. Seit es überhaupt Spuren von Menschen gibt, soweit ich weiß, gibt's Spuren von Malerei. Ich habe so ein paar Tätigkeiten, die ich für mich einfach als heilige Tätigkeiten bezeichne. Wo ich das Gefühl habe, wenn ich mich damit beschäftige, dann spüre ich die Verlängerung von mir in meine Ahnen zurück.

Er ist es lustig, du bist offenbar auch der Auffassung,  dass Künstlerisches aus dem Kult kommt.

Anscheinend. Ich spüre das so, wenn ich Malerei mache, aber es gibt auch sowas wie Heilen, oder die Lehre, anderen Menschen etwas zu übermitteln und vermitteln… oder kochen.

In den alten Gesellschaften hat es Kunst in dem Sinne nicht gegeben. Es gab den Kult. Bei den Griechen gab es doch jede Menge Künste, gerade nanntest du die Kochkunst oder die Kriegskunst und so weiter. Entsetzlich eigentlich, das destruktivste überhaupt zum einen und zum anderen aber doch auch natürlich eine Fertigkeit. Also es war eine unglaubliche Diskrepanz.

Hat aber auch viel mit Strategie und Konzept zu tun.

Diese Skizzen, die ich mache, die muss ich dir mal zeigen. Die sind eigentlich in einem kreativen, positiven Sinne sehr strategisch. Weil sie Bewegungen skizzieren, Richtungen, in die die Farbe fließen soll. Die Farbe fließt dann, indem ich die Leinwand aufhebe. Die Leinwände sind flach am Boden, wenn ich arbeite. Edelbert Köb hat einmal in Anbetracht dieser Skizzen gesagt, das sieht aus wie strategische Skizzen für ein Schlachtfeld.


Wir haben mal drüber geredet, dass du eine Serie „Matrix“ genannt hast. Du hast die, glaube ich, von außen nach innen aufgebaut. Ich habe nur so einen Gesprächsfetzen im Kopf.

Richtig, ja. Die Schüttungen sind immer von den gegenüberliegenden Seiten, also oben, unten, links, rechts vorgenommen worden. Aber immer von gegenüberliegenden Seiten rinnen Fahrbahnen aufeinander zu und vermischen sich im mittleren Bereich. Woher sie fließen, das bestimme ich durch angerissene Kohle-Linien. Und diese Linien rücken dann allmählich immer weiter in das Zentrum, sodass dann im zentralen Bereich des Bildformates das entsteht, was ich dann Bild nenne. Die Matrix-Reihe ist quasi wie ein Formular aufgebaut. Da gibt es amorphe Felder, die aber immer die gleiche Teilung und Anordnung im Bildformat aufweisen und die dann ständig überarbeitet werden und dadurch so ein Pulsieren erzeugen. Es sind Felder, die zum einen relativ genauen Teilungen folgen, aber diese Felder sind amorph und geschüttet. Durch diese Überlagerungen beginnen diese Felder allmählich zu pulsieren.

Spannend, weil dieser Projektingenieur, von dem ich vorhin erzählt habe, der plant die Fabrik anhand des Produktionsprozesses. Er schaut was hergestellt wird. Er entwickelt die Produktionslinie und von innen nach außen, vom Kern immer weiter nach außen plant er das Ganze. Lustig, weil du hast das genau andersherum gemacht.

Richtig, ja. Ich gehe von außen nach innen. Das ist auch der Grund, warum ich das dann Bild nenne, weil das sogenannte Bild dann im Zentrum entsteht.

Das heißt, du schaffst bestimmte Bedingungen, du planst manche Schritte aber es entsteht auch etwas, das du entdeckst. Du kannst ja nicht alles kontrollieren. Du kannst es steuern, richten...

... aber nicht kontrollieren, oder nicht gänzlich kontrollieren.

Du hast dir eigentlich ein Set an Regeln in deiner Methode entwickelt. Wo du die Skizzen machst und es bestimmte Unterteilungen gibt, du bestimmte Richtungen vorgibst und dann gibt es eben diese Bereiche, wo es fließen kann.

Ja, die Regeln letzten Endes sind die Regeln der Schwerkraft.

Machst du diese Proportionsstudien direkt dann schon auf dem Format oder erst die Skizze?

Im Vorhinein mache ich Strukturstudien. Die Proportionsteilungen, die mache ich eigentlich dann während des Arbeitens. Vorgegeben ist der Aufbau, das Architektonische der Malerei. Es ist auch so, dass wenn ich mir Malerei von Kolleginnen und Kollegen anschaue, geht es mir eigentlich in erster Linie um eine nachzuvollziehende Architektur. Das ist für mich der Punkt, wo ich dann sage, ich ich kann dieses Werk verstehen oder ich verstehe es eigentlich nicht. Das hat nichts mit Formenlehre zu tun oder so,
sondern dass ist eine Struktur, eine Architektur und hat auch nichts mit Gegenständlichkeit oder „Ungegenständlichkeit“  zu tun. Es ist eine Architektur, die ich nachvollziehen kann oder eben nicht nachvollziehen kann.

Ich habe heute die „Kunst, was soll das eigentlich?!“-Kategorie eingeführt. Mir ist nämlich aufgefallen beim Recherchieren im Internet, dass viele Sucheingaben in Suchmaschinen ganz grundsätzliche Fragen zum Thema Kunst betreffen. Ich habe mir gedacht, wenn man sich schon mal zusammensetzt und über Kunst redet, kann ich ja mal anfangen zu sammeln. Also, wann fängst du an von Kunst zu sprechen?

Du hast gerade auch einen gesellschaftlichen Aspekt angesprochen, einen sozialen auch.  Also, wenn es eine politische Komponente gibt, dann ist es für mich auf keinen Fall die Darstellung irgendwelcher politischer Themen oder die Referenz zu politischen Themen. Die politische Dimension der Künstlerin / des Künstlers ist der Umgang und die Behauptung in dieser Gesellschaft. Letzten Endes auch, dass du wirtschaftlich über die Runden kommst. Dass du in dieser Gesellschaft als Kunstproduzentin, als Kunstproduzent eine Überlebenschance hast. Ich glaube, dass das dazu gehört.

Ja, wenn du anfängst von Kunst zu reden, dass das auch dazu gehört. Sicher!

Ich meine damit keinesfalls, dass du dich hier anpassen sollst, sondern ganz im Gegenteil mit dem, was du machst, mit der Auffassung, die du von Kunst hast, mit den Ansprüchen, dass du mit denen eine Chance hast in der dich umgebenden Gesellschaft über die Runden zu kommen. Ich glaube, dass da der Kommunikations-Faktor sehr wichtig ist. Es gehört dazu, glaube ich, dass du Menschen für dich, für das was du machst, auch irgendwie begeistern kannst.

Das zählt zu den Aufgaben von Kunst? Das habe ich aus einem Vortrag, den ich vor Kurzem angeschaut habe. Philip Guston habe  gesagt: “We have to allow our art to function as a site for the contest of values and ideas”¹. Das fand ich cool. Da bin ich dann darauf gekommen und habe überlegt, was sind denn eigentlich Aufgaben von Kunst? Es gibt bestimmt ganz, ganz viele Aufgaben von Kunst. Wenn diese Frage einem jedoch spontan über den Weg läuft, wird diese Frage gar nicht so genau beantwortet, deshalb habe ich sie in meine Sammelbox mit hineingenommen. Falls dir dazu was einfällt?

Da müsstest du fragen, welche sind denn die values und ideas?

Ja! Das ist eine Position, aber was würdest du persönlich zu Aufgaben von Kunst zählen, wenn dich ein Kind zum Beispiel fragen würde?

Es ist eine gewisse Logik in der Vorgangsweise, jetzt ganz trivial gesagt. Es muss zu deiner Struktur, es muss zu dir passen was du machst und für andere nachvollziehbar sein.
Du gehst in der Kunst von einem Konzept oder einer Struktur aus, die aber dann unter Umständen auch anders wird, als du es dir genau vorgestellt hast. Es gibt aus dem Grund auch ritualartige Formen, im Theater zum Beispiel. Wenn wir weiter zurück gehen, was wir auch vorhin schon erwähnt haben, hat es das im Kult gegeben, wo gewisse Vorgaben da waren, gewisse Strukturen, aber letzten Endes das Ergebnis von Mal zu Mal etwas anders ausgesehen hat.

Was ist unser Job als Künstlerinnen und Künstler?

Der Job ist eindeutig die Gesellschaft zu bereichern. Einen Beitrag in der Gesellschaft zu leisten, so wie jeder andere auch seinen Beitrag leistet in der Gesellschaft. Auch im besten Fall die Kunst, die Malerei weiterzubringen, an neuen Dimension zu arbeiten.

Du gehst ja gerne in Ausstellungen. Wir gehen ja manchmal zusammen in Ausstellungen. Was macht eine Ausstellung für Dich interessant?

Eindeutig die Installation, wie das im Raum präsentiert wird, wie sich die Kunstwerke zum Raum verhalten.

Ja, also wir haben ja jetzt einiges abgedeckt, glaube ich. Und wir sind ganz schön in die Tiefe gegangen. Thomas, danke schön, dass du mitgemacht hast.

Ja nichts zu danken, gerne.

 

 

 



¹ Aus einem Vortrag im Jahr 2020 von David A. Ross, Professor an der School of Visual Art, NYC

Ich habe die besonders für meinen Artistic Research wichtigen Passagen des Gesprächs als Text zum Nachlesen aufbereitet.

Gespräch zwischen Thomas Reinhold und Nina Gospodin: "Aus dem Dialog mit Thomas Reinhold", Nina Gospodin (Hrsg.), aufgenommen am 22.01.2021, publiziert am 04.04.2022 auf www.podcast.ninagospodin.com

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