Ein Gespräch mit den Konzeptkünstlern Frank Riklin und Pratrik Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben

Dialog_zwischen_Nina_Gospodin_Hannah_Scheiber_Frank_Riklin_Patrik_Riklin_2016

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Zusammenfassung und Themen

"Unsere Deadline ist die Vision" - Frank und Patrik Riklin haben bereits mit einer Reihe von unüblichen Projekten international für Furore gesorgt. Dabei haben sie nicht etwa die klassische Kunstszene durcheinander gebracht, sondern sind immer wieder in neues Terrain vorgestoßen. Das Familienunternehmen Reckhaus, welches Insektenvertilgungsmittel herstellt, haben die beiden in einer fetten [PR?-]Aktion komplett auf den Kopf gestellt. Sie haben das Unternehmen, welches im Kerngeschäft Insekten vernichtet, dazu angestiftet Insekten zu retten. Dazu haben sie die Bewohner des gesamten Dorfes Deppendorf einbezogen. Mit ihrer Installation "Null Stern Hotel" konnten sie in internationalem Maßstab die Tourismusbranche aufwirbeln und sie dazu anregen ihre Werte zu hinterfragen.

In diesem Gespräch erzählen sie uns davon, wie alles begann. Von ihrer Lust am Konstruieren, die sie bereits in ihrer Kindheit entdeckt haben und der Neugier auf bildende Kunst nach ihrer Hochbauzeichnerlehre in St. Gallen. Das Kunststudium haben sie dann mit gemischten Gefühlen wahrgenommen und sich auch anschließend im Kunstmarkt unterfordert gefühlt. Wie sie dann ihren eigenen, persönlichen Ansatz und Weg entdeckt haben, wird in diesem Gespräch thematisiert.

In ihren Aktionen bringen die beiden Künstler gern ganze Dörfer und Gemeinschaften in Fahrt. Wir gehen auch auf mein Lieblingsprojekt der beiden Künstler ein: Fliegen retten in Deppendorf. Die Arbeit war eine Kooperation mit Hans-Dietrich Reckhaus, dessen Familienunternehmen Insektenbekämpfungsmittel herstellt. Mit dem Kunstkonzept Null Stern Hotel sind Frank und Patrik Riklin international bekannt geworden. Sie teilen einige wichtige Gedanken mit: worum es ihnen ging, was ihnen wichtig war und was sie aus der Sache mitnehmen und lernen konnten.

Wann werden Konzepte eigentlich spannend? Was wird festgelegt bei einem Kunstkonzept und was wird offen gelassen? Am Beispiel ihrer künstlerischen Arbeit BigNik schildern Frank und Patrik Riklin, wie sie mit ihren Konzepten arbeiten. Dabei kommen wir aufs 'Machen' zu sprechen, auf die Praxis und wann man den Punkt erreicht hat, an dem man nichts mehr lang erklären muss.

In ihrem Projekt SOCIAL URBAN ZONE wollen Frank und Patrik Riklin die BewohnerInnen von Zürich dazu anstiften, unüblich zu handeln. Kernstück dieser Konzeptarbeit ist ein Trinkbrunnen, der im öffentlichen Raum installiert ist. Damit der Brunnen fließt, muss unüblich gehandelt werden. In diesem Teil unseres Gespräches erzählen sie davon, was sie zu diesem Konzept inspiriert hat. Sie verraten auch, wieviel Mut sie für solche Projekte am Ende brauchen.

Im weiteren Verlauf geht es um das Thema 'Stolpern'. Es geht darum, dass es gar nicht so leicht ist, seinen Weg zu finden. Gerade für einen selbst herauszufinden, welches der ehrliche Weg für einen ist. Da kann man schon mal kurz vor dem Aufgeben sein zwischendurch. Zum Abschluss unseres Gespräches gehen wir auf den Begriff 'Artonomie' ein. Anhand einer Skizze erklären Frank und Patrik, woraus sich das Feld der Artonomie für sie ergibt. Dieses hängt auch damit zusammen, dass sie den normalen Kunstbetrieb mit gewöhnlichen Ausstellungen hinter sich lassen mussten. Dabei sind sie jedoch auf eine Herangehensweise gestoßen, die ihnen viel mehr gefällt und ganz neue Möglichkeiten für sie bereit hält.

Aus dem Dialog mit dem Atelier für Sonderaufgaben

Wie seid ihr auf die Idee gekommen Künstler zu werden?

Das Thema Kunst kam eigentlich erst, nachdem wir arbeitslos waren. Wir haben beide ursprünglich eine Hochbauzeichnerlehre gemacht. Nach diesem Studium haben wir dann versucht einen Job zu finden. Das hat zu dieser Zeit nicht geklappt. Das war Mitte der 90er Jahre. Letztlich war das auch unser großes Glück. Wenn wir da einen Job gefunden hätten, dann hätten wir wahrscheinlich das Atelier für Sonderaufgaben nie gegründet. Fazit: Krisen sind eigentlich, wenn man so möchte, wertvolle Momente, denn da kann man vielleicht auch einen spannenden Wendepunkt realisieren. Plötzlich geht’s in eine andere Richtung. Und die Richtung Kunst hat natürlich schon in uns geschlummert. Wir haben als Jugendliche zum Beispiel sehr intensiv Hütten gebaut – in den Wäldern mit Freunden. Da haben wir eigentlich das Thema Freiheit erlebt. Also, dass man eigentlich einfach Dinge tun kann, ohne zu fragen. Man macht’s einfach. Und das hat natürlich sehr geprägt: einfach loszulegen, einfach den Schritt zu wagen, die eigenen Gedanken nicht nur zu denken, sie eben auch auszuleben. Das heißt, sie manifestieren sich im Alltag. Das hat dann dazu geführt, dass wir die Hochbauzeichnerlehre gemacht haben. Wir haben gebaut und aus dem Verständnis heraus etwas zu konstruieren haben wir uns dann für die Bauzeichnerlehre entschieden. Und daraus entstand dann später wiederum der Gedanke: ja wenn etwas nicht funktioniert, dann konstruieren wir uns halt unsere eigene Wirklichkeit. Das hat dann auch viel mit der Idee zu tun gehabt Kunst zu studieren, weil dort kann man ja sehr vieles selbst entscheiden. Man formuliert seine eigenen Gesetze. Daraus entstand auch die Idee das Atelier für Sonderaufgaben zu gründen.

Wie war für euch das Kunststudium?

Der Weg in die Kunst ist ja nicht so einfach, denn es gibt verschiedene Hürden, die einem gestellt werden. Du muss eine Aufnaheprüfung machen. Du musst ja auch in dieses Format reinpassen. Du musst diese Voraussetzungen erfüllen. Und was ist jetzt gut und was ist jetzt schlecht? Und da beginnt’s ja schon: viele Leute kommen gar nicht an die Kunsthochschule, weil sie nicht ins System reinpassen. Und andere kommen gut rein, obwohl sie vielleicht die weniger interessanten Künstler sind schlussendlich. Wir haben beide die sogenannte Kunstgewerbeschule gemacht hier in St. Gallen. Ein Jahr einen Vorkurs und dann entscheidest du dich, in welche Richtung du gehen willst. Für uns war eigentlich klar, dass freie und bildende Kunst das war, was uns neugierig gemacht hat. Aber unterm Strich Kunst zu studieren, war zweigleißig. Einerseits war es ein super Erlebnis wirklich mal die Zeit zu haben, sich mit Fragen zu beschäftigen, die man im normalen Leben, vielleicht in einem normalen Job, sich gar nicht stellen würde. Es gab natürlich auch viele Momente, da hatte man viele Fragen und Zweifel und war sich gar nicht sicher: ist das der richtige Weg? Bin ich Künstler? Hab ich Bock auf Galerien? Hab ich Bock auf Ausstellungen? Und man kommt da in so ein System rein, oder? Also für mich (Patrik Riklin) sind die sechs Jahre Kunststudium schlussendlich wirklich eine Reise mit sich selbst. Nach der Kunsthochschule war eigentlich der Befreiungsschlag: sich loszureißen. Wir haben dann schon begonnen während dem Studium das Atelier für Sonderaufgaben als Gefäß zu nutzen, wo man sich wirklich entfalten und entwickeln kann, wie man sich das auch wirklich vorstellt – ohne, dass man irgendwie was leisten muss, im Sinne eines Systems. Wir müssen jetzt die und die Schiene machen und die und die Vorlesung besuchen. Da hat man wirklich etwas leben können, oder beginnen so zu leben, was wir eigentlich früher als Kinder immer schon gemacht haben. Also wir sagen manchmal: das Atelier für Sonderaufgaben ist eigentlich wie die Verlängerung der Kindheit.

Wie ging es nach dem Kunststudium für euch weiter?

Am Ende des Studiums war natürlich wieder die gleiche Frage, wie am Ende der Lehre als Hochbauzeichner. Was passiert jetzt also? Womit verdienen wir unser Geld beispielsweise? Und in dieser Zeit haben wir das Atelier für Sonderaufgaben schon ein wenig entwickelt, aber schon mit sehr großen Unsicherheiten. Wir haben aber dadurch eh auch eine große Sicherheit entwickeln können, weil wir uns selber beauftragt haben. Wir haben eigentlich uns als Künstler beauftragt im Rahmen des Ateliers für Sonderaufgaben Sonderaufgaben wahrzunehmen. Sonderaufgaben, wofür sich niemand wirklich zuständig fühlt – künstlerische Sonderaufgaben. Da haben wir beispielsweise einige Jahre später diese Arbeit gemacht mit dem Titel „Das kleinste Gipfeltreffen der Welt“. Das war auch eine Arbeit, die uns geprägt hat. Wir haben einfach gemerkt, dass es sehr viel Spaß macht einfach etwas anzupacken ohne, dass man da groß an Karriere denkt. Man macht dann einfach etwas und daraus entsteht dann ein öffentliches Bewusstsein. Dadurch haben wir auch Interesse erweckt, also viel. Die Leute haben sich gefragt, was heißt das jetzt: die Kleinsten zusammenführen? Ist das jetzt Politisch? Oder was wollen die damit ausdrücken? Plötzlich entstand einfach ein Interesse und das hat uns natürlich beflügelt immer weiter zu gehen, immer mehr Sonderaufgaben wahrzunehmen - mit dieser Frische und mit dieser Neugier, unabhängig vom eigentlichen Kunstbetrieb.


Was waren wichtige Weggabeln auf eurem Weg als Künstler?

Irgendwann haben wir uns neu orientiert. Also vom Studium, in den Konflikt, in die Neuorientierung. Und das ging etwas sieben Jahre. Wir haben 2000 begonnen zu studieren und 2007 haben wir uns vom Kunstbetrieb so langsam, ganz bewusst getrennt. Im Jahre 2008 haben wir das Null-Stern-Hotel gemacht, aus freien Stücken. Das war ja nicht ein Auftrag aus der Kunstwelt: macht mal eine Installation! Das war wirklich eine Sonderaufgabe, die wir wahrgenommen haben. Der Ausgangspunkt war eigentlich: was macht man, wenn man nichts hat, wenn man kein Geld hat, mit einem Bunker? Dann kam eine kleine Gemeinde auf uns zu und hat uns gefragt: ihr seid doch Künstler – wir haben nicht viel Geld, einen Architekten können wir uns nicht leisten, der uns eine Expertise macht. Macht uns doch mal einen Vorschlag, bzw. eine Empfehlung: wie könnte man einen Bunker auf künstlerische Weise mit einfachen Mitteln umnutzen? Und dann kam eben die Idee des Null-Stern-Hotels als Kunstinstallation. Und dann gab’s da dann: wir nennen es dieses Märchen. Damit hatten wir nicht gerechnet, dass es solche Wellen schlägt.

Was konntet ihr von eurem Kunstprojekt Null-Stern-Hotel mitnehmen?

Für uns die Erkenntnis am Schluss war einfach, dass die Kunst da gewirkt hat. Wenn wir jetzt wirklich Unternehmer wären, die da jetzt ein Hotel machen möchten, wo es auch um Umsatz geht und um Erfolg im klassischen Sinne, dann hätten wir nie im Leben ein Null-Stern-Hotel realisiert. Dann gibt’s ja ganz andere Interessen. Aber wir waren ja Künstler. Wir haben gesagt – und das war dann grundsätzlich auch bei anderen Arbeiten der Fall – wir möchten am bestehenden System rütteln und dabei neue Wirklichkeiten schaffen. Das heißt, in diesem Moment war es das System der Hotellerie. Null-Stern-Hotel – eine Marke zu kreieren, sie mit künstlerischen Inhalten aufzuladen, aber die ins System zu setzen, da gibt’s eine unglaubliche Reibung. Im Kunstbetrieb wäre diese Reibung wahrscheinlich nicht entstanden, weil eben Kunst Kunst ist. Und weil Kunst isoliert ausgestellt wird und meistens eben nichts mit der Realität zu tun hat. Es wird kokettiert mit der Realität. Aber das Null-Stern-Hotel als Kunstinstallation hat nicht mehr kokettiert mit der Realität. Das war real. Deshalb war das auch wie eine Bombe. Und das war dann für uns am Schluss so wie die These, die wir da gebildet haben, dass eigentlich die beste Kunst die ist, die man als Kunst gar nicht wahrnimmt. Sie ist mitten im Alltag verpflanzt. Man stolpert über sie, über die Kunst. Vielleicht im zweiten Augeblick merkt man erst: das ist ja Kunst.

Welches Potenzial erkennt ihr, wenn sich Kunst und Wirktschaft überschneiden?

Das sagen wir heute ganz bewusst: je mehr wir uns von unserer eigenen Branche distanzieren, desto interessanter wird unsere Arbeit als Künstler. Das kann man jetzt auch übersetzen auf andere Berufsfelder. Wenn der Bäcker seine Brote nicht mehr dort bäckt, wo man die Brote erwartet, sondern in einem ganz anderen Kontext. Unter Umständen werden das ganz andere Brote. Was sind das dann für Brote? Vielleicht entstehen dann auch neue Wirkungsfelder. Also diese Verschiebung hat uns sehr gereizt. Aber es war ein Prozess. In diesem Prozess sind wir heute noch. An der Spitze dieses Prozesses steht der Begriff Artonomie. Das ist eine Disziplin, die es noch nicht gibt. Artonomie ist eine Wortschöpfung. Das ist die Vereinigung von Kunst und Wirtschaft. Es geht nicht ums Geld, sondern um die Inhalte, es geht um die ideelle Wertschöpfung. Und um die Kunst, die eben wirkt – beispielsweise eben im Bereich der Wirtschaft.

Und dann kommt noch der Artopreneur. Der Artopreneur ist dann der, der eben auch noch wirtschaftlich ist. Das ist so ein Versuchsfeld, wo wir uns drin bewegen. Und es hat mit dieser Entwicklung zu tun, oder?! Vom Studium, dann von der Beteiligung am Kunstbetrieb mit den Schwierigkeiten und dem Konflikt, dann das Abnabeln vom Kunstbetrieb, dann die Neuorientierung und dann die Erkenntnis: da geht ja eine ganz neue Welt auf. Bis dahin, dass wir ein neues Berufsfeld kreieren. Das ist das Berufsfeld des Artonomisten. Eine im Prinzip komplett neue Figur. Und das ist eben das Spannende, wo wir jetzt sind.

Artonomist muss man vielleicht noch genauer definieren, weil da sind wir jetzt gerade wirklich drinnen. Ja, das ist eigentlich wie eine Kopfgeburt. Aber nicht nur eine Kopfgeburt, weil wir leben ja den Artonomisten schon. Wir kommen jetzt langsam in die Phase hinein, wo wir ihn beschrieben können. Künstlerisches Handeln und Denken im gesellschaftlichen Raum. Also nicht nur der Künstler aktiviert, oder bedient den Markt der Kunst, stellt Sachen hin, sondern er installiert sein Denken und Handeln direkt im System anderer Systeme. Das heißt, es könnte ja interessant sein, wenn Leute, die nichts mit der Kunst zu tun haben, diesen Rucksack des Artonomisten auch noch in sich tragen würden, dieses künstlerische Denken. Zum Beispiel die Betriebswirtschaftler der Zukunft - hier heroben in St. Gallen gibt es ja diese Eliteschule für Wirtschaft.Wen die auf einmal fähig wären, künstlerische Prozesse in eine Unternehmung mit rein zu verpacken, ohne zu merken: wir haben ja eigentlich gar keine Künstler gewollt, aber die Künstler stecken in einem drinnen. Und das ist hochspannend, weil wenn der Künstler mit der gleichen Identität agiert, sowohl als Künstler, als auch als Unternehmer, was passiert dann? Eben nicht wegen dem Geld, sondern vor allem wegen dem inhalt, wegen der Vision, wegen der Idee, ökonomisch komplett befreit. Es geht nicht um etwas, was ökonimisch etwas zurückspringen lässt in Form von Rendite. Und das ist natürlich extrem reizvoll, jetzt darüber nachzudenken: Artonomie, Artopreneur, artonomische Einsätze, artonomische Beratungen, artonomische Strategien – wie verändert sich der Einzelne? Da geht’s um Identität, oder?! Also wir haben eine Identität – jeder hat die in sich, irgendwo gespeichert, oder?! Aber ob diese Identität auch wirklich berücksichtigt werden kann, über ein ganzes Leben hinweg, ist schwierig, weil man kommt ja irgendwann in gewisse Zwänge. Also man muss irgendwo sich dann anpassen. Man bekommt irgendwelche Jobs. Und auch wenn man sich ehrlich ist, dass man es vielleicht nicht so gut findet, macht man es trotzdem, weil man ja Geld verdienen muss. Und das ist bei uns eben auch eine Diskussion immer wieder: was machen wir und was machen wir nicht? Und ganz zuoberst steht, dass das Wesen der Kunst regiert.

 

 

 



Ich habe die für meine künstlerische Forschung wesentlichen Passagen des Gesprächs als Text zum Nachlesen aufbereitet.

Gespräch zwischen Patrik Riklin, Frank Riklin, Hannah Philomena Scheiber und Nina Gospodin: "Ein Gespräch mit den Konzeptkünstlern Frank Riklin und Pratrik Riklin vom Atelier für Sonderaufgaben", Nina Gospodin (Hrsg.), aufgenommen am 29.10.2015, zuerst publiziert am 26.03.2016 auf www.dusagst.es

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