Mit:
Philip Ursprung . Nina Gospodin
Aufgenommen am 20.02.2017 | Zuerst publiziert am 28.05.2017 auf www.dusagst.es
Im Folgenden findest du meine Lieblingspassagen aus dem Gespräch. Die Transkription wurde zum Teil gekürzt und zusammengefasst, um die Lesbarkeit zu verbessern.
Ich finde das ist ein guter Punkt, dass du meintest man muss das machen, damit man da irgendwie weiterkommt. Ich habe das eigentlich während des Kunststudiums so wahrgenommen, dass die Theorie natürlich wichtig ist und wie man etwas tut und warum man etwas tut. Aber das Tun an sich, das Hervorbringen, das ist ebenso ein wichtiger Punkt. Ich kann ganz viel theoretisch schon begreifen, oder etwas vorweg erahnen, weil ich zum Beispiel eine gewisse Idee von etwas habe, aber ich merke es im Kunstbereich für mich, dass ich ganz oft, durch das Tun eigentlich erst wieder den entscheidenden nächsten Schritt mache. Dass sich da zum Teil dann auch wieder alles neu mischen kann. Deshalb hat mich dieser Aspekt des Tuns eben so begeistert.
Ich bin nicht gleich in der Kunst gelandet. Mittlerweile habe ich erkannt, dass ich eigentlich Alchemie studieren wollte. Deshalb habe ich Chemieingenieurwesen studiert und musste dann irgendwann einsehen, dass ich irgendwie im falschen Film gelandet bin. Ich habe das Studium geliebt. Life Science! Super! Ich dachte mir so: geil, wie machen wir diese Welt? Ich verstehe das alles nicht, ich will das wissen. Und fand das Studium genial und dann war ich am Ende des Studiums und ich dachte so: Gott, ich dreh durch, ich weiß nicht was ich tun soll. Ich musste heute noch mal dran denken. Ich
war die ganze Zeit richtig gut in meinem Studium, weil ich mich voll rein gestürzt habe in die verschiedenen Themen, aber ich war schon immer ein bisschen neben der Spur.
Ich habe zum Beispiel ein Praktikum gemacht nach zwei Semestern in einer Bonbonfabrik. Die wurde gerade in Betrieb genommen. Das ist eigentlich ein Punkt, da lässt man Leute eigentlich gar nicht rein, weil alles schief geht. Also das heißt nicht alles, aber vieles. Es war eine riesige Halle. Und auf der einen Seite war so eine Hartkaramell-Anlage. Da wurden diese Lutschbonbons für Lidl produziert. Auf der anderen Seite sollten so Kaubonbons gemacht werden. Für diese Kaubonbons geht eine Zuckermasse durch einen Extruder, also so eine Knetmaschine, die diese Masse dann mit Aromastoffen mischt und ein bisschen aufheizt. Dann geht das Ganze um so eine riesige Walze herum und danach soll es eigentlich langsam und gezielt auskühlen und anschließend geformt werden zu diesen Kaubonbons. Das hat aber alles nicht geklappt. Das war so eine französische Maschine. Es hat nicht geklappt, ist die ganze Zeit verstopft. Das heißt, diese Fabrik produziert ungefähr 5 Tonnen Bonbons am Tag und die Hälfte bestand nur aus solchen
Glukose-Masse-Bergen. Also richtig geil. Es waren wirklich so Berge und alle, die da gearbeitet haben,
waren halt entweder gestresste Manager oder Fabrikarbeiter. Es war in Ostdeutschland. Ich bin immer zwei Stunden von Hamburg aus dahingefahren morgens früh. Ich hatte diese Anzüge an mit Maske und ich kannte mich dann schon ein bisschen aus. Das heißt, ich habe mir dann Hartkaramellbonbons geholt von der Fehlproduktion. Das waren so riesige dünne Kristallplatten. Dann habe ich mir pures Aroma geholt bei der Apfel-Station. Hatte also eine Stange Bonbons und bin wie so ein Mondmensch über diese Hügel gegangen und habe das gegessen und hatte einfach so das sinnlichste Erlebnis überhaupt und fühlte mich so, als wäre ich die Frau am Mond, weil ich mir dachte: ich weiß nicht wie viel Leute sowas überhaupt schon mal gemacht haben.
Und das war mein Studium der Chemie. Ich glaube, ich war im falschen Film. Wenn ich heute zurückblicke, dann sehe ich schon mich, aber nicht als Chemieingenieurin. Meine Gedanken waren nicht, wie kriege ich jetzt diese Fabrik effizienter, sondern: was für ein seltsames Habitat. Das hat mich halt natürlich sehr geprägt in der Herangehensweise an Sachen. Am Anfang im Kunststudium war ich immer so frustriert, weil ich dachte, ich muss erst immer alles fertig durchdacht haben und dann muss ich es nur noch machen und dann bin ich natürlich immer voll gescheitert damit.
Ja, das muss man im Studium dann irgendwann ablegen diese Idee. Ich mache mit den Studierenden jedes Semester eine Reise, eine Seminarwochenende. Das ist obligatorischer Bestandteil des Studiums und bei jeder Reise kommt dann ein Fabrikbesuch vor. Das ist ein
Ritual, dass wir auf jeden Fall eine Fabrik besuchen, weil mich diese Orte und, wie ich meine eigentlich alle Leute, diese Orte sehr anziehen. Es sind Orte, die man gar nicht so häufig sieht.
Oft darf man ja nicht fotografieren oder filmen in
Fabriken. Es gibt etwas Mysteriöses, aber es ist eben ein Ort wo etwas gemacht wird und etwas das man dann als Produkt kennt. Das machen wir fast immer und es ist jedesmal ein wichtiger Moment in der Reise.
Ja, am Feedback der Leute, am Verhalten der Leute. Man weiß einfach, dass das einer der Höhepunkte ist, das zu sehen und auch das Erkennen, dass man so etwas viel häufiger tun könnte und dass man es so selten macht.
Wo sieht man schon, wie ein Auto gemacht wird oder eine Zigarette geholt wird. Und man kann endlos lange zugucken. Es ist auch eine der methodischen Fragen, die mich bei meinem jetzigen Projekt interessiert, das ich in Singapur durchführe und in Java. Wo wir uns sozusagen auf den Spuren des Tourismus bewegen.
Es gibt eine sehr schöne Tourismustheorie von einem Soziologen namens Dean MacCannell aus den 70er Jahren. Der sagt, der Tourist genießt es zwei Wochen aus
dem Produktionsprozess auszusteigen und anderen bei der Arbeit zuzugucken. Das heißt, dass das zuschauen, wie andere sozusagen einen selbst spiegeln als Arbeitende während man im Moment nichts tun muss, aber nachher wieder tun wird, produziert Genuss. Das lokalisiert er als einen roten Faden in der ganzen Geschichte der Tourismusindustrie vom späten 19 Jahrhundert, wo die Reiseführer fast alle noch Fabrikbesuche zum Beispiel beinhalteten, wo das angeboten wurde. Man ging sich also die Schlachthöfe,
die Reinigungsbetriebe anschauen. Das ist heute etwas verschwunden und findet sich fragmentarisch zum Beispiel im Interesse am Handwerk. Als Tourist muss man etwas handgeklöpeltes mitnehmen, damit man auch sieht wie es hergestellt wird. Ein Stück weit wird diese Tradition etwas verwaschen, aber sie ist da und intensive Momente des Reisens haben sehr oft eben mit dem Kontakt mit Arbeit und Produktion zu tun. Auch der Besuch einer Fabrik und das versuche ich eben mit den Studierenden jedes Mal neu zu inszenieren.
Also das Projekt, das ich jetzt in Singapur mache, das ist einer dieser Aspekte, also die Geschichte des Tourismus. Ein anderer Aspekt ist, dass wir uns mit der Methodik
des Reisens auseinandersetzten, des Reisens im Sinn der Forschungsreise.
Also das Projekt folgt einem Naturforscher aus dem 19. jahrhundert mit dem Namen Franz Wilhelm Junghuhn. Dieser Franz Junghuhn stammt aus dem Harz aus Deutschland und der hatte immer den Traum schon als junger Mann ein Alexander von Humboldt zu werden, ein großer Entdecker und nach Südamerika zu reisen und die tropischen Regenwälder und die Vulkane zu erkunden. Es gelingt ihm aber nicht nach Südamerika zu kommen. Er kann auch in Europa nicht gut zu den Vulkanen reisen wegen der Kriege.
Also man kann damals nicht nach Italien reisen und er schafft es dann aber mit der Kolonialarmee von Holland nach Indonesien zu kommen, also Niederländisch-
Ostindien wie es damals heißt. 1835 landet er in Batavia, im heutigen Jakarta auf Java und ist dort als Militärarzt angestellt. In seiner Freizeit untersucht er die Botanik und die Geologie der Gegend und schreib darüber Berichte, publiziert. Bald merken die Kolonialbehörden, dass er eigentlich nützlicher ist für sie, wenn er solche Berichte schreibt, als wenn er als Arzt arbeitet und sie geben ihm dann, die Mission die Insel Java zu erkunden und zu kartografieren, zu vermessen was die Botanik, Geologie und dann auch die Vulkane angeht. So wird er in relativkurzer Zeit zu einem der eminenten Gelehrten seiner Zeit, der mit ein, zwei Gefährten und mit einer Reihe von jeweils lokalen Dienern diese Vulkane besteigt und darüber publiziert. Bücher, Lithographien, eine
große Karte von Java und so weiter, bis er dann 1864 in Indonesien stirbt.
Und dieser Junghuhn ist sozusagen mein Reiseführer, mein Guide. Ich begebe mich mit einer Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, Architektinnen und Architekten auf seine Spuren und bereise 17 seiner Lieblingsvulkane. Er hat 43 Vulkane besucht. Das war für uns jetzt zu viel, weil er hat sein ganzes Leben dort verbracht und wir haben beschlossen wir besuchen 17 und wir schreiben darüber ein Buch und machen darüber eine Ausstellung.
Bildet ihr auch so die Rollen ab? Also bist du jetzt Junghunhn und jemand ist der Kartograph? Oder ist das eher so eine neue Zusammenstellung?
Also es ist eine neue Zusammenstellung. Es geht nicht darum das nachzuahmen. Ich bin auch nicht Kulturhistoriker. Er ist wie gesagt unser Guide. Das ist vielleicht auch unser Anlass dort hinzugehen und natürlich im Hier und Heute dort hinzugehen. Er gibt uns die Spielregeln. Wir gehen irgendwohin, wo er nicht war und sehen jetzt nicht das oder nicht nur das, was er gesehen hat. Aber wir gucken, was hat ihn interessiert und dann schauen wir, ist zum Beispiel diese tiefe Spalte auf dem Gipfel des Sindoro Vulkans noch da, die er beschreibt? Das heißt, das gibt uns eine Art Motiv zu suchen. Wir haben das dann auch gesucht und haben eine Spalte gefunden, waren aber nicht sicher ob es genau die ist, die er meint und wir haben sie fotografiert. Das heißt, wir haben eine Art Mission. Aber natürlich sehen wir auf dem Weg der Mission ganz viel andere Dinge, die uns erlauben ein besseres oder vielleicht auch anderes Bild des Zusammenhangs
der ganzen Insel zu haben als wir hätten wenn wir das nicht täten, nämlich eben dieser Figur zu folgen. Also jetzt können wir zum Beispiel über den Weg zum Vulkan durch das Verkehrschaos dieser Insel viel sagen. Das sind 140 Millionen Menschen, die auf dreimal der Fläche der Schweiz wohnen. Es ist äußerst dicht. Mit einer ebenso faszinierenden wie erschreckenden Intensität des Verkehrs, wo man zum Teil stundenlang im Stau steht. Wir sind in einer sich rapide industrialisierenden Gesellschaft, wo die Vulkane sich plötzlich zu so etwas wie Ruhepole verändern, weil eben dort kein Verkehr ist. Das entdecken natürlich auch die Menschen in Java und die Vulkane sind heute fast die beliebtesten Ausflugsziele für die Menschen dort. Das heißt, wir treffen auch gerade auf dem Vulkan dann sehr viel Gleichgesinnte, die sich dann auch für Junghunhn interessieren. Und wo wir fotografiert werden von ihnen, weil sie dort sehr selten europäische Touristen
oder Wanderer antreffen und ins Gespräch kommen. Wir sehen die Landwirtschaft, wir sehen was angepflanzt wird, wie sich das im Laufe der Höhe ändert. Wir sehen wie zum Beispiel Kaffee angebaut wird, wie sich auch das Interesse für Kaffee in den letzten Jahren geändert hat. Früher wurde der ganze Kaffee zu Nescafé verarbeitet und kam dann zurück. Inzwischen gibt es aber hunderte von lokalen Kaffeebetrieben und ein großes Interesse für diese verschiedenen Lagen und Sorten in Java selber. Also diese Transformation die erleben wir quasi vor Ort im Zusammenhang mit allen möglichen anderen Dingen. Zum Beispiel die Nutzung der geothermischen Energie durch Kraftwerke, die religiösen Funktionen der Vulkane oder eben dann die binnentouristischen Funktionen, das heißt wir haben eine Art roten Faden, der uns erlaubt einen Weg zurückzulegen und Bilder, Eindrücke, Informationen zu sammeln.
Also die Gruppe ist jeweils zwischen acht und 15-16 Leuten. Es gibt eine Künstlergruppe von Dreien, die Aufgaben zu dokumentieren. Die haben eigentlich immer eine Kamera laufen. Neuerdings haben sie auch eine Kamera, die nach Zürich streamt. Das heißt, es gibt
jetzt gerade eine Ausstellung im Helmhaus in Zürich und dort sind Monitore, die ständig übertragen, was sie gerade sehen, auch wenn sie auf Java, wie jetzt letzte Woche unterwegs sind. Sie haben zugleich die Aufgabe künstlerische Arbeiten herzustellen. Wie das aussehen
wird, ist noch nicht klar. Möglicherweise werden sie Vulkan-Performances entwickeln. Das wird sich erst zeigen. Sie sind im Moment in Singapur.
Eine erste Version der Ausstellung war im Frühling in der ETH in Zürich zu sehen unter dem Titel »17 Vulcanos«. Bis gestern war sie in Montreal im Center of
Architecture zu sehen und am 5. Februar wird sie in Princeton School of Architecture ausgestellt sein. Dann wird sie im September in Singapur zu sehen sein und
dann wird sie auf Java im Herbst zu sehen sein. Dann möchten wir sie in vielleicht anderthalb Jahren noch mal nach Europa zurückbringen. Aber das ist noch offen.
Dieser Aufenthalt in Singapur, diese Arbeit im Rahmen eines größeren Forschungprojektes, das den Titel »Future Cities Laboratory« trägt, hat uns das ermöglicht. Natürlich kann ich als Tourist mal hinreisen, aber ich kann nicht jetzt mehrmals mit einer ganzen Gruppe dorthin reisen. Das heißt, ich muss eigentlich einen Stützpunkt haben. Eine Basis für das ganze Projekt. Das hat uns glücklicherweise eben dieses Projekt vermittelt und ermöglicht. Dort ging es mir eben darum
prototypisch und exemplarisch dieses gemeinsame Reisen und Forschen und Entdecken durchzuspielen und das ist natürlich ein schmaler Grat zwischen Tourismus und Forschung.
Man kann das auch nicht radikal trennen. Ich kann auch wenn ich jetzt einen Kongress besuche das nicht radikal von einer Ferienreise trennen. Natürlich bin ich auf die Tourismusindustrie angewiesen, wenn ich mich wohin
bewege. Ich reise ja mit dem gleichen Flugzeug. Ich gehe in das gleiche Hotel. Ich genieße die gleichen kulinarischen Angebote, die gleichen Kulturangebote und so weiter. Das heißt, ich will das nicht radikal kategorial vom Tourist abtrennen, sondern sagen das ist eigentlich ein gradueller Unterschied.
Das ist genial, weil die die Einstellung mit der ihr reist, eröffnet euch solche Welten auf einmal. Ich habe mich früher als Kind immer so geärgert. Ich wollte die Welt entdecken aber egal wo du hinschaust, alles ist schon abgefrühstückt, abgelaufen. Da muss man nicht mehr
hin. Eigentlich ist es ja oft auch so dieser Überdruss, also man geht nach Java und dann schämt man sich schon vor seinen Freunden, dass es nicht doch irgendwie noch exotischer war. Aber dadurch, dass ihr diese Expeditionsreise macht, ihr seid ja auf einer Mission
dort, kann man zwar die gleiche Infrastruktur nutzen, aber so viel entdecken. Es ist eigentlich auch egal, ob ich jetzt in Tirol bin oder halt in Südostasien. Dieser Aspekt der Imagination, dass quasi dieser Typ von früher aus der Geschichte mit euch dabei ist, das gefällt mir.
Ja, er ist dabei. Er ist Teil der Gruppe und wir identifizieren uns natürlich ein Stück weit mit ihm. Er ist unsere Projektionsfigur, weil wir natürlich auch ein wenig neidisch sind auf ihn oder ihn bewundern, dafür dass er halt noch einer war, der das alles entdecken konnte. Wobei, wenn wir dann das publizierte Material
anschauen, er sehr offen ist und uns sagt wer vorher da war. In aller Regel ist auch vor ihm schon jemand auf dem Vulkan gewesen und das interessiert mich auch wiederum in Verbindung zum Touristen. Dass der Tourist eigentlich nie der erste ist. Es ist immer jemand da, der auf ihn wartet, der ihn führt und das interessiert
mich auch für die Forschungsfrage. Auch wenn ich etwas erforsche gehe ich zu einer Grenze, aber da ist auch schon jemand da gewesen. Es gibt eigentlich gar keinen Ersten.
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IM ONLINE ATELIER DER KÜNSTLERIN NINA GOSPODIN FINDEST DU KREATIVE INSPIRATION AUS GESPRÄCHEN MIT INSPIRIERENDEN MENSCHEN, KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLERN.
© 2022 Nina Gospodin